Moped Mars Monza Fotot: Selina Goller

Die Halbstarken und ihre Moped-Leidenschaft

Kalter Fahrtwind bläst Leopold um die Ohren. Die Steintribühne des Nürnberger Norisring braust zu seiner Linken an ihm vorbei. Er lehnt sich mit dem Oberkörper nach vorne. Zieht mit der linken Hand die Kupplung am Lenker.

Hämmert mit dem Fuß den dritten Gang rein. Dreht mit der rechten Hand am Gasgriff. Nur 75 Stundenkilometer. Die Ernüchterung ist groß. Mehr gibt das serienmäßige Moped nicht her. „Verdammt!“, flucht Leopold, während er in die Eisen geht und am Rand der Fahrbahn zum Stehen kommt. Nach und nach gesellen sich weitere Jungs zu ihm, die gerade ihre neuen Mopeds auf Herz und Nieren prüfen. Wer das Straßenbild der letzten Monate aufmerksam beobachtet hat, dem konnte das rasche Aufkommen der Sportmopeds nicht verborgen bleiben. Kaum verwunderlich, nachdem die Nürnberger Mars Werke gerade das erste deutsche Sportmoped „Mars Monza“ auf den Markt gebracht haben.

Der moderne, leichte Profil-Pressrahmen, die Mars-Schwinggabel vorn und die langarmige Hinterradschwinge sind aus hochwertigem Stahlblech gepresst. Wie bei Mars üblich, übernehmen Gummiblöcke die Federung und Dämpfung. Außerdem hat das Monza eine Doppelsitzbank. Jedenfalls laut Hersteller. Als solche genutzt wird sie von dem jugendlichen Käuferkreis wohl kaum. Der Sieben-Liter-Sattel-Renntank mit Knieschluss ermöglicht einen sportlichen Sitz, ist allerdings nicht für jedermanns Proportionen gleichermaßen geeignet. Der geräumige Werkzeugkasten unter der Sitzbank ist mit Gummi ausgelegt und somit klappersicher. Mit seinem 3,3 PS starken Einzylinder-Zweitakt ILO-Motor und der 3-Gang Fußschaltung ist das steuerfreie Kleinstkraftrad der Schlager unter den Jugendlichen. Die Halbstarken begutachten die Mopeds der anderen. „Sabberlodd!“, „Allmächd!“, raunt es durch die Gruppe. Knapp ein Dutzend Burschen, alle mit einem Ziel: Der Schnellste zu sein. Helmut – den er schon in der Berufsschule des öfteren sah – hat Leopold mit seiner frisierten Mars Monza sofort imponiert. Er ist mit einer recht respektablen Geschwindigkeit von bis zu 90 Kilometer pro Stunde mit Abstand der schnellste unter den halbstarken Nürnbergern. Genauso stellt Leopold sich seine Maschine auch vor, wenn er erst einmal mit ihr fertig ist. Optisch unterscheiden sich die beiden Mopeds nur durch den tiefer geschraubten Lenker von Helmut und die beige-blaue Monza-Lackierung. Leopold besitzt die schwarz-rote Ausführung.

Halbstarker auf Mars Monza Foto: Selina Goller

Halbstarker auf Mars Monza. Foto: Selina Goller

Fluch und Segen

Leider befindet er sich nicht in der glücklichen Situation, der Sohn eines Werkstattbesitzers zu sein, wie es bei Helmut der Fall ist. Leopolds Vater war Doktor der Theologie und Philosophie und hätte daher keinen Sohn gewollt, der Motorrad fährt. Erst als klar wurde, dass er nicht aus dem Krieg zurückkommen wird, konnte Leopold anfangen, seiner Leidenschaft nachzugehen. Seither fieberte er auf seinen sechzehnten Geburtstag hin, um seine Fahrerlaubnis zu erwerben. Den Führerschein vier. Motorräder bis 250 ccm darf er damit fahren. Er musste sich nur bei der Gemeindeverwaltung anmelden, einen postkartengroßen Antrag ausfüllen und wurde acht Tage später zur Prüfung eingeladen. Diese fand mit 15 anderen Teilnehmern in dem Kellergeschoss einer Bombenruine in der Roritzerstraße, oben bei der Burg, statt. Im Prüfungsraum gab es lediglich eine Schultafel, auf die der Prüfer eine Kreuzung malte und anschließend ein paar Fragen stellte. Ein Klacks für Leopold. Und die 10 Mark, die das gesamte Unterfangen kostete, konnte er auch locker aufbringen. Das Geknatter der Mopeds reißt ihn aus seinen Gedanken. Ob er das nächste Mal den Mut aufbringen würde, Helmut anzusprechen? Alleine kommt er jedenfalls nicht weit mit seinem Vorhaben.

Mehr Leistung

Halbstarker schraubt an Moped Foto: Selina Goller

Halbstarker holt einen Schraubenschlüssel aus dem Werkzeugkasten der Monza.  Foto: Selina Goller

Mit all seinem Draufgängertum, das im Hinblick auf soziale Kontakte nicht besonders ausgeprägt ist, marschiert Leopold am nächsten Tag auf Helmut zu. Nicht umsonst hatte er Monate lang auf das 835 DMark teure Moped gespart. „Fralle“, entgegnet Helmut ihm auf die Frage, ob sich da was an seinem Gerät machen ließe. An einem Moped basteln? Dazu sagt er nicht nein. Augenblicklich dreht er die Mutter vom Werkzeugkasten seiner Monza ab, nimmt das Abdeckblech weg und holt ein mit Motoröl überzogenes Tuch heraus. Aus dem Tuch wickelt er behutsam einige Sechskant-Schraubendreher. Er lockert die beiden Inbus-Schrauben am Lenker, um diesen ganz nach unten zu verdrehen. Wenn man dann noch auf der Sitzbank ganz nach hinten rutscht, ermöglicht der tiefe Lenker eine deutlich sportlichere Sitzposition. Mit verschränkten Armen steht Leopold neben ihm und verfolgt aufmerksam jeden Handgriff.

„Etz zum Motor. Zuerst is der Vergaser dran. Wenn die Düsennadel und der Düsenstock größer sind…“, er holt einen Bleistift und ein Stofftaschentuch aus seiner Westentasche und beginnt wild zu zeichnen. Konzentriert beißt Leopold auf seiner Unterlippe herum und runzelt gespannt die Stirn „…also, wenn die größer sind, wird das Kraftstoff-Luft-Gemisch erhöht, weil mehr Benzin mit der einströmenden Luft in den Vergaser gelangt. Klar? Dann müssen wir des Luftfiltergehäuse a weng aufbohren oder des Graffel gleich ganz entfernen, dass über den Vergaser mehr Luft in den Zylinder strömen kann. Sonst säfft uns der Motor später beim Start ab, weil des Gemisch aus Benzin und Luft ned mehr ausgeglichen is. Als nächstes vergrößern wir den Ansaugstutzen.

Helmuts Zeichnung vom Vergaser Zeichnung: Selina Goller

Helmuts Zeichnung vom Vergaser Zeichnung: Selina Goller

Die größere Menge an Kraftstoff-Luft-Gemisch aus dem Vergaser braucht ja a mehr Raum, um in den Zylinder zu gelangen. Außerdem können wir noch den Auspuff ausbrennen. So wird der Rückstau reduziert und der Abgasausstoß optimiert. Wenn zu viel verbrauchtes Benzin-Luft-Gemisch zurückbleibt, reduziert des nämlich die Menge an potentiell frischem Gemisch. Des ganze Dämmmaterial is dann a weggebrannt, dann gnaddert dei Auspuff auch endlich ordentlich. Mit 1,8 Liter Verbrauch auf 100 Kilometer kommst dann aber nimmer ganz hin.“ Die Begeisterung ist Leopold ins Gesicht geschrieben. Am liebsten würde er direkt loslegen.

Die Roten Teufel

In den darauffolgenden Wochen treffen sich die Jugendlichen in immer regelmäßigeren Abständen am Norisring, um gemeinsam an ihren Mopeds zu schrauben und Rennen zu fahren. Es entsteht eine tolle Gemeinschaft. Rund 70 Mitglieder zählt die Bande im Juni 1957 bereits. In ihren roten Pullovern und Lederwesten bleiben sie wohl kaum unerkannt und es dauert daher nicht lange, bis die Jungen ihr eigenes Pseudonym zugeschrieben bekommen: „Die Roten Teufel“!

Doch mit der Anzahl der Mitglieder steigt auch der Ehrgeiz. Sie duellieren sich mit Mutproben, beschaffen sich mit langen Fingern Ersatzteile für ihre Mopeds und belästigen Passanten. Der introvertierte Leopold kann mit alldem nichts anfangen. Er entzieht sich der Bande kurzerhand, als er von den Missetaten erfährt. Schließlich träumt er neuerdings, jetzt da sein Moped die 90 Stundenkilometer erreicht, von einer Karriere als Werksfahrer. Für die Mars-Werke beispielsweise oder auch für Zündapp. Und die lassen sicherlich keinen Kriminellen ihr Unternehmen repräsentieren.

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