Johannes Sommer in blauem Pullover gestikuliert vor einer Tafel

„Es wird immer Journalisten brauchen – trotz Automatisierung“

Algorithmen werden in den kommenden Jahren mehr und mehr Einzug in den journalistischen Alltag halten. So schilderte es Johannes Sommer, Geschäftsführer von Retresco, in der Ringvorlesung an der TH Nürnberg. Die meisten Neuerungen werden aber für die Rezipienten unsichtbar bleiben….

Algorithmen werden in den kommenden Jahren mehr und mehr Einzug in den journalistischen Alltag halten. So schilderte es Johannes Sommer, Geschäftsführer von Retresco, in der Ringvorlesung an der TH Nürnberg. Die meisten Neuerungen werden aber für die Rezipienten unsichtbar bleiben. Algorithmen helfen jetzt schon dabei, für die FAZ Themenseiten zu generieren oder Vorschläge a la „Wenn Ihnen dieses gefallen hat, könnte Ihnen auch das hier gefallen“ zu machen. Das journalistische Handwerk zu automatisieren, wird hingegen nur in sehr speziellen Bereichen möglich sein.

Automatische Themenseiten sind Standard

Die FAZ hat bereits heute automatisch generierte Themenseiten. Um zu wissen, welche Themen gerade relevant sind und die Leserinnen und Leser interessieren, überprüft der Algorithmus die Google Trends. Die Google Trends bilden die am häufigsten gesuchten Themen der letzten 24 Stunden ab. Danach durchsucht der Algorithmus die Schlagworte der auf der FAZ-Seite veröffentlichten Artikel und stellt aus den Treffern die entsprechende Themenseite zusammen.

Auch die Verschlagwortung kann mit den entsprechenden Tools automatisiert werden. Der Algorithmus erkennt anhand semantischer Techniken die verschiedenen Bestandteile des Textes, also

Ein Text über die CeBit bei dem die wichtigen Inhalte von Software erkannt und markiert wurden. Aus diesen werden Schlagworte generiert.

Visualisierung der automatischen Verschlagwortung. Quelle: Johannes Sommer, retresco GmbH

den Ort, die Personen, das Event und eventuell besprochene Produkte – eben alles, wonach Menschen suchen würden – und gibt diese als Schlagwörter aus. Das ist wichtig, da selbst bei den Onlineauftritten großer Zeitungen bis zu 50 Prozent der Besucher über Google auf die Seite kommen oder ihnen der Artikel von Facebook vorgeschlagen wird. Google und Facebook ranken gut verschlagwortete Artikel höher und schlagen sie so auch häufiger den potentiellen Lesern vor.

Die automatische Verschlagwortung ist aber auch wichtig, um Leser auf der Seite zu halten. In einem Cookie werden die bis dahin gelesenen Artikel gespeichert, um daraus eine Empfehlung für andere Artikel zu berechnen. Dieser Algorithmus ist in den letzten Jahren intelligenter geworden. „Man kann sich das vorstellen wie bei Amazon. Dort bekommt man keinen Vorschlag für eine Hose, wenn man bereits eine Hose gekauft hat. Der Algorithmus erkennt, dass der Kunde jetzt bereits eine Hose hat und schlägt ihm ein dazu passendes T-Shirt vor. Die Vorschläge auf den Seiten von Zeitungen funktionieren nach demselben Prinzip“, erklärt Sommer.

„Wenn Ihnen das gefallen hat…“

Bei Bild.de wird erst nach dem fünften gelesenen Artikel ein personalisierter Vorschlag ausgegeben – vorher fehlt die Menge an Daten, um passende Vorschläge zu generieren. Hier liegt der große Vorteil von Tech-Firmen wie Google oder Facebook. Wenn Leser kein Kundenkonto bei der Zeitung besitzen und ihre Cookies regelmäßig löschen, hat der Algorithmus auf der Seite nur einen sehr kleinen Datensatz, aus dem Vorschläge generiert werden können. Facebook oder Google hingegen haben einen Überblick über das gesamte Leben des Lesers, können ihn so einer Zielgruppe zuordnen und so nicht nur relevante Werbung, sondern auch relevanten Content ausspielen.

Die bis hier aufgeführten Tools nehmen Journalisten nur lästige Fleißarbeiten ab und lassen ihnen so mehr Zeit, sich auf ihre eigentliche Arbeit zu fokussieren. Es ist aber auch möglich, ganze Texte automatisch schreiben zu lassen. Bisher wird dies vor allem im Finanz- und Sportressort gemacht. Dazu braucht es aber eine gute Datengrundlage. Die Textengine greift auf die Spieldatenbank des DFB zu und generiert daraus automatisch Texte. „Eine Besonderheit bei deutschen Verlagen ist, dass sie es nicht kenntlich machen, wenn die Texte automatisch verfasst wurden. Von unseren acht Kunden macht das kein einziger. In den USA, wo der Markt schon etwas weiter ist, ist es Standard, dass automatisch geschriebene Texte ausgewiesen werden“, erklärt der IT-Experte Sommer.

Tiefgehende Recherche und gute Reportagen

Eine Studie aus 2013 hat zwar herausgefunden, dass beinahe 50 Prozent aller Jobs (in den USA) von der Automatisierung gefährdet sind. Noch lässt sich dies für den Journalismus aber nicht behaupten. Die oben vorgestellten Technologien zur Automatisierung erleichtern Journalisten ihre Arbeit oder decken Felder ab, die bisher nicht bespielt werden konnten, wie die Berichterstattung der untersten Fußballligen. Auch Sommer ist dieser Ansicht: „Gerade der aktuelle Leak der Panama Papers zeigt, dass es immer Journalisten brauchen wird. Ein Computer könnte in diesem Datenberg zwar nach den großen Namen suchen und, wenn man ganz weit denkt, auch ihr Verhalten mit einem Gesetzbuch abgleichen, aber er könnte niemals moralische Wertungen vornehmen. Der Fall Cameron wäre durch automatische Berichterstattung nie ans Licht gekommen.“

Auch Markus Kaiser, Professor für praktischen Journalismus an der TH Nürnberg, ist dieser Ansicht: „Die traditionelle Journalistenausbildung wird immer wichtiger, vor allem tiefe Recherche und die Fähigkeit, gute Reportagen schreiben zu können. Darin liegt die ureigene Chance für Journalisten zu arbeiten, ohne Gefahr zu laufen, von einer Maschine ersetzt zu werden.“ Wichtig sind die handwerkliche Qualität der Arbeit und die Fähigkeit, Querverweise herstellen zu können, denn hieran scheitern Algorithmen. Sie können nur dann Verbindungen herstellen, wenn sie bereits vorher vom Menschen in die Datenbasis eingepflegt wurden. „In genau diesen Feldern liegt aber auch ein Zukunftsmarkt für Journalisten, auf den wir in der Ausbildung eingehen“, so Kaiser weiter. „Es ist wichtig, in Statistik, Informatik, Medientechnik aber auch empirischer Sozialforschung auszubilden.“

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