„Kein Spielraum für Leichtsinnsfehler“

Das Outdoor-Klettern erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Immer schwerere Routen werden bezwungen. Wie hat die Materialtechnik den Sport verändert? Das erklärt der Fels- und Wettkampfkletterer Peter Göpel.

Auf einem Stein im Krottenseer Forst – mitten in der Fränkischen Schweiz – sitzt Peter Göpel und spricht über seinen Lieblingssport. Vor ihm ragt ein Fels, geformt wie ein Schiffsbug, aus dem Boden. Nur ein unscheinbarer Trampelpfad durch den Wald führt hierher und lässt kaum vermuten, dass man sich an einem Meilenstein der Klettergeschichte befindet.

Was macht diesen Ort hier so besonders?

Peter Göpel: Vor uns befindet sich die Action Directe, die erste Kletterroute im elften Schwierigkeitsgrad. Nach ihrer Erstbegehung durch Wolfgang Güllich blickte die gesamte Kletterwelt in den Frankenjura. Nur 21 Menschen konnten sie seit ihrer Eröffnung 1991 klettern.

Wie viele Schwierigkeitsgrade gibt es mittlerweile?

Man ist gerade dabei, den zwölften Grad zu erschließen. Es gibt sehr wenige Routen und Menschen, die in diesem Grad klettern können.

Wie hat sich das Klettern in der Fränkischen Schweiz entwickelt?

Der Bohrhaken wird in vorgebohrten Löchern fixiert. Foto: Mareike Thal

Die Fränkische Schweiz wurde bereits Anfang des 20. Jahrhunderts als Trainingsmöglichkeit für die Alpen genutzt. Die Herausforderung in alpinen Wänden bestand neben schlechten Wetterbedingungen vor allem im Anbringen von Sicherungen. Das konnte hier im kleineren Stil geübt werden. Die heutige Art des Kletterns in der Fränkischen wurde maßgeblich durch Kurt Albert und Wolfang Güllich geprägt. Sie etablierten in den siebziger Jahren einen revolutionären Begehungsstil, das Freiklettern. Dabei wird eine Wand nur durch Körperkraft, jedoch ohne Ruhepunkte und Hilfsmittel bezwungen. Seil und Haken dienen lediglich als Schutz vor einem Sturz auf den Boden. Das war vor allem durch die Entwicklung des Bohrhakens möglich. Er löste den witterungsanfälligen Schlaghaken ab, den man nur mit einem Hammer in Rissen fixieren konnte.

Allein im nördlichen Frankenjura gibt es über 10.000 Kletterrouten. Wie kommen sie in den Fels und was benötigt man dazu?

Findet man im Wald einen Fels, an dem man klettern möchte, kann man bei der Interessenvertretung für den Kletter- und Bergsport e. V. anfragen, ob dort eingebohrt werden darf. Meistens seilt man sich beim Erschließen der Route von oben ab. Wenn man die mögliche Grifffolge durchgegangen ist, setzt man mit einer Schlagbohrmaschine die Löcher für die Haken. Mit einem speziellen Verbundmörtel werden sie dann in der Wand fixiert. Es gibt aber auch Verspannungshaken, die sich beim Eindrehen in der Wand aufspreizen. Dabei muss man auf die Abstände achten. Sind sie unterschiedlich weit, kann man bei einem Sturz eventuell immer noch auf dem Boden landen.

Klettern wird oft als Risikosportart bezeichnet. Ist das trotz robuster Seile und moderner Sicherungsgeräte noch so?

Sichern mit einem orangenen Tube. Die untere Hand muss stets am Bremsseil bleiben. Foto: Mareike Thal

Natürlich ist Klettern in gewisser Weise gefährlich. Es gibt eben keinen Spielraum für Leichtsinnsfehler. Bis in die sechziger Jahre waren Seile noch aus wenig strapazierbaren Hanffasern. Es kam häufig zu tödlichen Unfällen. Ein modernes Seil aus Polyamid kann bei richtiger Handhabung durch einen Sturz nicht reißen. Es besteht aus einem schützenden Mantel und dem Kern, der die Hauptlast trägt. Zum Sichern des Kletternden sind Halbautomaten sehr beliebt geworden. Bei einem Sturz wird ein Mechanismus ausgelöst, der das Seil im Inneren einklemmt.
Früher verwendete man häufig Tubes. Sie lenken das Seil nur um, wodurch man es leichter halten kann. Der Seildurchlauf wird dabei, im Gegensatz zum Halbautomaten, nicht automatisch blockiert.

Und wie sicher sind die Haken in der Wand? Gibt es da regelmäßige Kontrollen?

Hakenausbrüche kommen sehr selten vor. Man sollte sich eine Route dennoch immer gut ansehen, bevor man einsteigt. Teilweise werden die Wände durch den Verein IG Klettern e. V. und die Routenbohrer selbst kontrolliert. Trotzdem gibt es jedes Jahr tödliche oder schwere Kletterunfälle im Frankenjura. Oft werden Knoten falsch gebunden oder die Sicherungsgeräte falsch bedient.

Kann man heute anspruchsvollere Routen klettern als vor 20 Jahren?

Tendenziell kann man heute schwerer klettern. Die Trainingsmöglichkeiten sind in den letzten Jahren vielseitiger geworden. Zudem reift das Material immer weiter aus. Geklettert wurde damals – im wahrsten Sinne des Wortes – in Kinderschuhen. Moderne Kletterschuhe sind so geformt, dass der Druck an der Schuhspitze stark konzentriert wird. Sie bieten auf kleinsten Unebenheiten noch Halt. Die Karabiner und Seile sind insgesamt auch leichter geworden, wodurch der Kletternde weniger Gewicht nach oben bewegen muss.

2020 wird das Sportklettern bei den Olympischen Spielen Premiere feiern. Einige Profikletterer haben sich bereits kritisch dazu geäußert. Warum?

Es wird drei Disziplinen geben: Die Kontrahenten müssen sich im Bouldern, Vorstiegsklettern und Speed-Klettern gleichermaßen beweisen. Es gibt aber kaum Sportler, die alle Bereiche trainieren. Die Anforderungen sind einfach zu spezifisch. Ein Langstreckenläufer wird ja auch nicht an einem 400-Meter-Hürdenlauf teilnehmen wollen.

Denkst du, die Olympischen Spiele könnten sich negativ auf den Sport auswirken?

Unabhängig von den Olympischen Spielen hat längst ein starkes Streben nach Wettbewerb eingesetzt. Weltmeisterschaften und immer neue Rekorde tun ihr Übriges dazu. In der Regel finden Wettkämpfe an künstlichen Wänden mit Plastikgriffen statt. Die Bewegungen und Griffformen haben immer weniger mit dem zu tun, was man draußen am Fels vorfindet. Es scheint immer wichtiger zu werden, das Ganze publikumswirksam zu inszenieren. Es wäre echt bedauerlich, wenn dabei der Bezug zum Felsklettern und die Naturverbundenheit verloren geht.

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