Keine Filme, keine Kunden

Christian ist gefangen. Seine Beine schmerzen und außer gelegentlichen Schritten hat er schon lange nichts mehr gehört. Seit 27 Jahren ist er nun an diesem dunklen, kalten, unwirklichen Ort – ohne einen Sonnenstrahl oder das Schimmern des Mondes erblicken zu können.

Doch Christian ist kein Mensch, er ist ein Video 2000 Recorder von Grundig. Weil sein Antrieb defekt war, wurde er 1990 gegen ein VHS-Gerät ersetzt und von seiner Besitzerin in eine Kiste gepackt. Hier, nahe am Giebel des Hauses, ist er nicht das einzige Gerät des Fürther Elektronikherstellers. Ein Radio steht gleich neben Christian und in einer der unzähligen Kisten muss auch noch ein Fernseher sein – zusammen waren sie ab 1983 das Gespann für Unterhaltung am Abend. Er erinnert sich noch dumpf daran, wie sich zwei Ingenieure über die Geschichte Grundigs unterhalten haben, als er im Nürnberger Stadtteil Langwasser zusammengeschraubt wurde.

Inkompatibilität und Einfallsreichtum

Aus seinem Gefängnis entlassen: Der Grundig 2×8 Stereo / 2280 Foto: Johannes Fucker

1930 wagten Max Grundig und sein Freund Max Wurzer mit einem Radiogeschäft in Fürth den Sprung in die Selbstständigkeit. Zu diesem Zeitpunkt war Grundig erst 22 Jahre alt und musste seine Mutter bitten, den Mietvertrag zu unterschreiben. Zwar lief das Geschäft am Anfang seiner Selbstständigkeit durchwachsen, aber dank Qualität und Kundenservice konnte er seinen Teilhaber schon 1934 auszahlen und in einen größeren Laden umziehen. Er nutzte gekonnt den Vorteil, der sich aus den unterschiedlichen Stromnetzen in Nürnberg und Fürth bot.
Denn beim Einschalten eines Nürnberger Radios in Fürth brannte aufgrund der verschiedenen Spannungen der Transformator durch. Grundig reparierte die defekten Teile und verdiente gut an dieser Inkompatibilität. Nach dem Krieg gelang ihm mit dem Rundfunkbaukasten Heinzelmann ein weiterer Clou. Die Geräte verkauften sich so gut, dass sie den Grundstein für die spätere Grundig AG legten. Denn im Anschluss an den Baukasten wurden auch Fernseher, Mikrofone und Tonbandgeräte hergestellt. 

Von den großen Erfolgen bei Grundig hat Christian nicht mehr viel mitbekommen. Schon 1979, vier Jahre bevor er gebaut wurde, entstanden seine Video 2000 Vorgänger in Kooperation mit Philips. Genau an diese niederländische Firma verkauft Max Grundig 1984 die Aktienmehrheit der Grundig AG. Christian kann immer noch nicht verstehen, warum er gerade gegen einen VHS-Recorder ausgetauscht und nicht repariert wurde: „Außer einer größeren Filmauswahl konnte ich genauso viel bieten und mit meinen doppelseitigen 2×8-Magnetbändern sogar 16 Stunden aufzeichnen. Betamax von Sony hatte wenigstens eine bessere Bildqualität. Warum nur VHS?“

Der Krieg der Videoformate

Genau wie diese VHS-Kassette der Konkurrenz passten auch die Vorgänger des Video 2000-Systems nicht in den Schacht Foto: Johannes Fucker

Das vom japanischen Hersteller entwickelte Video Home System (VHS) wurde konsequent für die Nutzung von Heimanwendern ausgelegt. Mit günstigen Preisen für Recorder und Kassetten sowie dem Ruf, weniger für Störungen anfällig zu sein, als das Video 2000 System, gab es mehr Vorteile als nur eine große Filmauswahl. Die Kinderkrankheiten des VHS-Konkurrenten entstanden auch aufgrund der schnellen Markteinführung, mit der Grundig und Philips auf die japanische Schwemme an Unterhaltungselektronik reagierten. Zusätzlich zu diesen Problemen kam auch, dass VCR und andere Grundig-Systeme nicht mit Video 2000 kompatibel waren. Hatte Max Grundig beim Aufbau seines Unternehmens noch von Inkompatibilität profitiert, scheiterte er jetzt selbst daran. 1985 wurde die Produktion des eigenen Video-Systems zugunsten von VHS-Recordern eingestellt.

Das gleiche Schicksal

Auf dem Dachboden bleibt es dunkel – die Hoffnung, dass er eines Tages wieder einen Film abspielen wird, hat Christian längst aufgegeben. „Wenn die nächste Generation, die nur noch Blu-ray und Netflix kennt, entrümpelt, werde ich bestimmt auf dem Wertstoffhof landen“, denkt er sich. Bis dahin tröstet ihn die Gewissheit, dass der VHS-Recorder, der ihn einst abgelöst hatte, auf das gleiche Schicksal wartet. Doch insgeheim hofft Christian, dass er an einen Nostalgiker verkauft wird – denn er hat mittlerweile Sammlerwert.

2 Comments

  1. Stefan Franz

    So sad indeed. These old devices were built to to last. Unfortunately, so few people know how to service this format. I miss the days of going down to the local movie store to rent titles. We lost the social aspect with Netflix and streaming online. My Grundig 2280 Stereo requires repair to circuit board where the battery has leeched. My Philips VR2840 is still operational and sits along side of my Sony SL-HF950ES.

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