Birthstrike – Klima retten radikal

Wenn Verena Brunschweiger das Café in der Regensburger Innenstadt betritt, tut sie das erhobenen Hauptes, mit einem steten Lächeln und entschlossen, ihre Botschaft in die Welt zu tragen: bewusst keine Kinder zu gebären, dem Klima zuliebe.

Feminismus und Philosophie ließen die 39-Jährige lange zögern, ein Kind in die Welt zu setzen. Sie bezeichnet sich als Antinatalistin, was die Grundlage ihrer Einstellung bildet. Antinatalismus ist eine Philosophie, die sich für die Entvölkerung der Erde ausspricht. Das soll geschehen, indem keine neuen Menschen gezeugt werden, da das Leben niemandem zuzumuten sei. Es geht ihr also nicht nur darum, die Umwelt zu schützen. Kindern soll Leid erspart bleiben, indem sie gar nicht erst geboren werden. „Mit was für einer Belastung kommen die schon zur Welt? Unsere Renten sollen sie zahlen. Sie sollen die Umwelt retten, die wir versaut haben. Sie sollen, sie sollen.“ Die Bürde der Klimakrise allein den jungen Leuten aufzuerlegen, findet sie schrecklich.

„Kinderfrei statt kinderlos“ lautet der Titel des Buches. Foto: Selina Goller

Bewusst keine Kinder zu gebären, dem Klima zuliebe. Diesen endgültigen Entschluss fasste die Autorin und Lehrerin vor neun Jahren, als „es dann hormonell schon irgendwie soweit war“. Sie stützt sich wie viele andere auf eine Studie von Kimberly Nicholas, Professorin für Nachhaltigkeitsstudien an der schwedischen Lund Universität, und Seth Wynes von der University of British Columbia in Kanada. Sie untersuchten, wie einzelne Menschen am besten zum Klimaschutz beitragen können. Die Birthstrike-Bewegung, zu der Brunschweiger sich zählt, wurde im März 2019 von der britischen Sängerin Blythe Pepino ins Leben gerufen. Im gleichen Zeitraum erregte Brunschweiger mit ihrem Buch „Kinderfrei statt kinderlos – ein Manifest“ großes Aufsehen. Laut der Regensburgerin denkt Deutschland deutlich zu klein, wenn es darum geht, das Klima zu schützen. 

Für die 39-Jährige war die Umwelt schon immer sehr wichtig und somit auch der Klimawandel stets präsent. Und das, obwohl sie der Meinung ist, dass diese Debatte in Deutschland, ganz anders als in englischen oder amerikanischen Zeitungen, medial lange unter den Teppich gekehrt wurde. Nachhaltig zu leben bedeutet für Brunschweiger jedoch nicht nur, auf Kinder zu verzichten. „Mir wird immer unterstellt, ich möchte mich als Heilige hinstellen. Aber das mache ich ja nicht. Ich sag‘ halt, wie es ist. Ich fliege nicht und esse zum Beispiel kein Fleisch, weil das zwei wichtige Punkte sind. Soll ich jetzt lügen oder was?“ Sie betont ganz klar, dass jeder noch so kleine Beitrag wichtig sei. Man könne mögliche größere Beiträge aber wenigstens in Erwägung ziehen und nicht alles auf die Politik oder die Landwirtschaft abwälzen. Das findet sie falsch.

Umstrittene Aussagen

Mit ihrem Aufruf macht sich die Lehrerin angreifbar. Sie bezeichnet sich aufgrund ihrer Haltung selbst als „sehr gefährdete Persönlichkeit“. Auf ihren eigenen Wunsch hin ist sie für ein Jahr beurlaubt. Einige Eltern ihrer Schüler sowie Kollegen waren der Meinung, dass sich gewisse Aussagen, die sie als Autorin trifft, nicht mit ihrem pädagogischen Beruf vereinen ließen. Daraufhin brachten Elternvertreter das Kultusministerium ins Spiel. Dieses forderte Brunschweiger zwar auf, sich etwas zurückzunehmen, die Entscheidung, sich beurlauben zu lassen, traf sie jedoch selbst. Zuvor hat sie sowohl über den Buchverlag als auch in ihr Fach im Lehrerzimmer immer wieder Briefe bekommen. Viele davon negativ. Sie wurde nicht nur als Mörderin beschimpft, auch von Morddrohungen blieb sie nicht verschont. „Lebensschützer“ nennt sie die Absender solcher Botschaften abschätzig. Menschen, die auch eine Abtreibung unter sämtlichen Umständen nicht befürworten würden.

Beim Googeln ihres Namens fällt es schwer, unbefangen zu bleiben. Die Medien zeichnen mit Worten wie „Herzlos-Lehrerin“ (Bild-Zeitung) oder „kontrollierte Mimik“ (Zeit) das Bild einer kalten, verbissenen Persönlichkeit. Die Anschuldigung, sie möge keine Kinder, nachdem sie schon elf Jahre glücklich als Lehrerin arbeitet, findet sie „krass“, „verletzend“ und „echt gemein“. Peter Silbernagel vom Philologen-Verband NRW spricht im Interview mit der Welt von „einer großen Anmaßung, weil es in die persönliche Verantwortung von Eltern eingreift und etwas suggeriert, das wissenschaftlich absolut unglaubwürdig und letztlich auch fragwürdig ist“. Dieser Meinung ist die Autorin nicht: „Das Kinderkriegen wird immer so privat gesehen, aber das ist es gar nicht und vor allem jetzt nicht mehr mit der Umwelt.“

Klimawandel verursacht Wassermangel

Die Lehrerin und Buchautorin Verena Brunschweiger. Foto: Selina Goller

Sie erklärt:„Umso mehr Konsumenten, desto mehr Müll und Bedarf und natürlich werden dann die Flächen alle platt gemacht.“ Ihre Stimme wird energischer, ihr Blick zeigt Empörung: „1,9 Milliarden Menschen haben dann eh‘ schon Wasserprobleme und das sind irgendwie nicht wenige. Aber das interessiert hier keinen, wenn in Indien die Leute kein Wasser haben. Mich interessiert das schon.“ Tatsächlich leiden laut dem UN-Weltwasserbericht von 2019 schon im Jahr 2016 etwa vier Milliarden Menschen während mindestens einem Monat im Jahr unter schwerer Wasserknappheit. Brunschweiger spricht von Rücksichtnahme: „Unser Planet ist auch nur ein Haus mit Leuten und dann muss ich halt wissen: Sind mir die Inder wichtig oder völlig egal? Ich produziere den Klimawandel, den die ausbaden müssen.“

Doch auch positives Feedback erreicht Brunschweiger. Ein junges Paar, das vegan lebt und alles für die Umwelt tun würde, bedankte sich auf einer Buchmesse. „Ich denke mir dann, ich kann mich im Spiegel anschauen und habe ein gutes Gewissen. Und das könnte ich zum Beispiel nicht, wenn ich jetzt da rumhinge mit meinen drei Kindern, Steak essen würde und dann fliegen wir noch in den Urlaub in den Weihnachtsferien. Ich würde mich scheiße fühlen.“ Alternativen zu leiblichen Kindern, über die auch sie sich schon Gedanken gemacht hat, wären eine Adoption oder ein Pflegekind. Jedoch wollen die meisten nur „ihr eigen Fleisch und Blut“, ein „Mini-Me“, so Brunschweiger. Eine Ideologie, die sie furchtbar findet.

Ob der Klimawandel schon in allen Köpfen verankert ist? „Man könnte es mitkriegen, aber Viele wollen es halt nicht. Die stecken oft und gern und mit Leidenschaft den Kopf in den Sand. Gerade in der Vorweihnachtszeit. Da werden Geschenke gehamstert und es geht nur um Konsum und meine Familie und sonst nichts. Das wird sich bitter rächen.“

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