Brillen in Handarbeit

Viele Deutsche greifen in puncto Brille zu der günstigen Online-Alternative aus dem Ausland. Um mitzuhalten, müssen lokale Firmen nachrüsten. Doch mit zunehmender Automatisierung in Handwerksbetrieben und dem Online-Brillenhandel droht das Handwerk des Augenoptikers verloren zu gehen.

Ein krächzendes Geräusch ist vor Betreten des kalt ausgeleuchteten Raumes zu hören, ein ätzender Geruch liegt in der Luft. Die Schleifmaschine beginnt zu surren. Davon lässt sich Werkstattchef Alexander Schmidt jedoch nicht ablenken, als er den Glasrohling aus der braunen Papierverpackung nimmt. Für den Kundenauftrag überprüft er sorgfältig die Lieferung auf Fehlerfreiheit, bevor er diese unter den Scheitelbrechwertmesser legt. Dieser markiert den Punkt des schärfsten Sehens mit drei Kennzeichnungen. „Wir sind bemüht, das Meiste selbst zu machen“, sagt Schmidt. „So im Schnitt erledigen wir 80 bis 90 Prozent der Aufträge im Gegensatz zu kleinen traditionellen Betrieben.“ Diese könnten sich selten noch eine eigene Schleifmaschine leisten und schickten deswegen ihre Aufträge meistens zur Produktion weg. „Da kriegst’e ’n Golf für.“

Schmidt zeichnet Gläser an Rohling am
Scheitelbrechwertmesser an. Foto: Elisabeth Seiler

Damals Formscheibe, heute Tracer

Alexander Schmidt arbeitet seit über 40 Jahren in der Werkstatt von Fielmann in der Breiten Gasse und fertigt dort Brillen. Er hat viele Entwicklungen in der Branche selbst erlebt und sich ihnen angepasst. „Als ich angefangen habe, in den 80ern, gab es die ganzen Maschinen noch nicht. Da gab es Wände voller Formen. Das war eine bunte Angelegenheit, da muss man immer erst die passende Formscheibe für das Brillengestell suchen. Heute scannt der Tracer schnell die Fassung ein.“ Der Tracer, oder auch Taster, kann die individuelle Glasform auf den Hundertstel-Millimeter genau vermessen. Die Maschine zeigt dann die eingescannte Form an. Mit den im Kundengespräch erfassten Daten und den individuellen Sehstärken zentriert Schmidt die Gläser und fixiert diese mit einer bunten selbsthaftenden Haltevorrichtung.

In seinen Birkenstocks und mit dem Kundenauftrag in der Hand geht der Franke zu dem Schleifautomat hinüber. Mittlerweile dauere das Schleifen von einem Glasrohling mit der Hilfe moderner Automaten nur noch um die zwei Minuten, sodass ein Mitarbeiter um die 90 Brillen am Tag anfertigen könne. Ein Laserscanner überträgt alle Messdaten vom Tracer in den Schleifautomaten. Summend zur Rockmusik aus dem Radio klemmt Schmidt das Glas in die Spannvorrichtung ein, bestimmt auf dem modernen Display die Fertigung des Glases und drückt auf Start. Schon schleift eine spezielle Diamantschleifscheibe mit einem leisen Surren das Glas auf die eingescannte Form zu. Von hinten spritzt die Maschine kaltes Wasser auf den Rohling, damit dieser nicht staubt, splittert oder gar bricht. Während das Wasser auf das Glas plätschert, bringt kreisförmiges Rotieren den eingespannten Rohling Hundertstel-Millimeter genau auf die ausgemessene Form. „Oft muss ein Glas auch noch nachgeschliffen werden, wenn die Maschine etwas zu ungenau war“, sagt Schmidt.

Ein Augenoptiker bohrt Löcher für randlose Brillen. Foto: Elisabeth Seiler

Automatisierung oder Handarbeit?

Das traditionelle Handwerk wird zwar noch in der Berufsschule gelehrt, doch es kommt in der Praxis kaum zum Einsatz. „Zu meiner Zeit hab‘ ich die Brillen noch selbst gefeilt, das machen die heute schon gar nicht mehr“, sagt Schmidt. „Das eigentliche Handwerk verschwindet, der Beruf beschränkt sich fast nur noch auf den Verkauf.“
Trotz des Wandels im Berufsbild steigt die Nachfrage nach Brillen. Laut einer Brillenstudie des Instituts für Demoskopie Allensbach sind fast zwei Drittel der erwachsenen Bevölkerung Brillenträger. Das heißt, jeder Dritte unter ihnen benötigt eine Sehhilfe. Bei Jugendlichen steigt die Zahl der Brillenträger, da es immer mehr Kurzsichtige gibt. Dies begründen Wissenschaftler damit, dass Jüngere häufiger auf Bildschirme schauen.

„In den letzten Jahren hat sich nicht viel geändert, aber die große Veränderung steht noch bevor.“ Der deutsche Marktführer Fielmann setzt bis jetzt auf Handarbeit. Aber wie soll die Werkstatt der Zukunft aussehen? Neue Maschinen sind schon im Gespräch. Was diese können und wie viel sie ersetzen sollen, ist noch nicht klar. „Ich hoffe, dass es für mich noch reicht bis zur Rente“, sagt Schmidt seufzend. „Natürlich haben die Geräte die Arbeit erleichtert, aber sie sind eben ein Jobkiller. Ich glaube, mein Job wird nicht mehr ersetzt werden, höchstens von einer Maschine.“

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