Eine Frau geht mit leeren Taschen auf den Supermarkt zu. Foto: Sümeyra Kara

Wegwerfstop für Lebensmittel

Foodsharing, eine Initiative für einen Wegwerfstop von Lebensmittel, rettet überschüssige Lebensmittel und andere überschüssige Ware vor dem Wegwerfen und verteilt sie sowohl an bedürftige wie nicht bedürftige Personen, Gruppen und Einrichtungen.

Vollgepackt mit Rucksäcken und Taschen wartet Kathrin Neumann Donnerstagabend am Treffpunkt vor Kaufland in Nürnberg. Ein Blick auf die Uhr verrät, dass es kurz vor acht ist. Außer ein paar Leuten, die voller Hektik ihre letzten Einkäufe erledigen, ist hier nicht mehr viel los. Auch freiwillige Helfer, die „Foodsharer“ sind heute da und helfen dabei, die Lebensmittel zu tragen und vor allem vor dem Wegschmeißen zu bewahren.

Im Laden stellt sich Neumann den Mitarbeitern kurz vor, zieht ihre Warnweste an und zeigt ihren Foodsharing-Ausweis vor. „Warnwesten sind die Erkennungszeichen an diesem Abholungsort, so wissen die Mitarbeiter gleich, mit wem sie es zu tun haben“, erklärt Neumann. „Und die Ausweise sollen vor Betrüger schützen, die hier kostenlos Lebensmittel mitnehmen wollen“, fügt sie hinzu. In Deutschland werden pro Jahr circa 11 Millionen Tonnen Lebensmittel entsorgt. Mehr als die Hälfte davon werfen Private Haushalte weg. Auch in den Müllcontainern der Supermärkte landen häufig noch genießbare Lebensmittel.

Jetzt kann es auch schon los gehen. Die Mitarbeiterin des Ladens Lena Gawrikow führt die Lebensmittelretter geradewegs zur Gemüseabteilung und gibt ihnen eine riesige Ladung Mandarinen, Paprika und Lauchzwiebeln. „Das ist eine großartige Sache, was die Helfer hier machen, vor allem tun sie das in ihrer privaten Zeit“ sagt die 23-jährige Mitarbeiterin. „Sie verdienen meinen Respekt und wir freuen uns immer wieder, wenn die Retter kommen, schließlich denken wir auch, dass das Lebensmittel sind, die ohne Bedenken konsumiert werden können. Wir als Mitarbeiter können aber leider nicht viel gegen das Wegschmeißen tun“, fügt sie hinzu. Neumann packt ein, was noch zu retten ist.

Die Online-Plattform Foodsharing

Foodsharing wurde 2012 in Berlin gegründet und ist eine gemeinschaftliche, nachhaltige und wertschätzende Initiative. Mittlerweile sind über 360.000 Mitglieder auf der Online-Plattform aus Deutschland, Österreich und der Schweiz registriert. Durch tatkräftiges Engagement und Rettungsaktionen konnten bis heute 44.859,486 Tonnen Lebensmittel vor dem Müll gerettet werden. Und das alles komplett ehrenamtlich und unentgeltlich. Die Mitglieder der Foodsharing-Community bezahlen nichts für ihre Mitgliedschaft oder die geretteten Lebensmittel. Die Initiative Foodsharing ist unabhängig, kostenlos, werbefrei und nicht kommerziell.

Das SOS-Mehrgenerationenhaus in Nürnberg. Foto: Sümeyra Kara
Das SOS-Mehrgenerationenhaus in Nürnberg. Foto: Sümeyra Kara

So schnell wie alles begonnen hat, war es auch schon wieder zu Ende. Jeder hat eine bis zwei volle Taschen in der Hand, gefüllt mit den verschiedensten Lebensmitteln. „Es ist der Wahnsinn, wie viel die hier wegwerfen würden, wenn wir nicht kommen würden. Man muss sich dabei im Klaren sein, dass dies nur die Menge von einem Einkaufsladen ist und vor allem, von nur einem Tag“, erklärt Neumann, während die Taschen in das Auto geladen werden. Der nächste Halt ist das SOS-Mehrgenerationenhaus in Nürnberg.

Dort angekommen, wird das gerettete Obst und Gemüse genauer unter die Lupe genommen, denn es gelten wichtige Hygieneregeln. Die Lebensmittel sind an paar stellen leicht beschädigt oder nicht mehr ganz frisch, aber nicht so, dass es nicht mehr genießbar ist. „Zum direkten verkochen sind sie perfekt geeignet“, sagt Neumann lächelnd. Nun teilen die Lebensmittelretter die gerettete Ware unter sich auf, jeder nimmt sich nur das, was zu Hause gebraucht werden könnte. Der Rest wird in erster Linie an Bedürftige Menschen verteilt.

Das Food-Sharing-Regal. Foto: Sümeyra Kara
Das Food-Sharing-Regal. Foto: Sümeyra Kara

Gerette Lebensmittel für alle

Aber auch Familienmitglieder oder die Nachbarn bekommen manchmal etwas ab. „Zusätzlich gibt es Fairteiler, das sind öffentlich zugängliche, Kühlschränke oder selbstgebaute Lagerschränke. Dort kann sich jeder etwas rausnehmen“, erklärt sie. Laut den Lebensmittelrettern gelte gabei der Grundsatz, egal an wen, Hauptsache es landet nichts im Müll. Viele Rentner nutzten die Kühlschränke, auch Hartz-IV-Empfänger oder Studenten mit wenig Geld. Darunter auch die BWL-Studentin Annalena Sperber. Die 24-jährige holt sich öfter etwas aus dem Fairteiler. Auch viele ihrer Freunde tun dies. „Manche von uns müssten die Lebensmittel selbst aus dem Müll holen, wenn es die Fairteiler nicht gäbe“, sagt Sperber. „Da das Containern hier in Deutschland, immer noch als Straftat gilt, ist das Konzept mit dem Foodsharing eine gute Alternative“, erklärt sie. Sie fügt hinzu, dass sie auch in Zukunft auf dieses Konzept zurückgreifen wird.

Ob nun der verschimmelte Käse im heimischen Kühlschrank, das nicht so schön aussehende Obst oder die zu große Portion im Restaurant, all diese Lebensmittel landen am Ende des Tages im Mülleimer. Mit 59 Prozent entsteht der Großteil dieser Lebensmittelabfälle im privaten Haushalt. Das sind ungefähr 6,5 Millionen Tonnen, die weggeworfen werden. „Es kann nicht sein, dass wir in einer Welt in der 800 Millionen Menschen Hungerleiden, allein in Deutschland zwölf Millionen Tonnen an essbaren Lebensmitteln wegwerfen“, sagt der Nürnberger Jesuitenpater Jörg Alt. Der 61-Jährige deutscher Sozialwissenschaftler und Priester ist außerdem ein gesellschaftspolitischer Aktivist.

Der Nürnberger Jörg Alt beim Foodsharing. Foto Valeska Rehm
Der Nürnberger Jörg Alt beim Foodsharing. Foto Valeska Rehm

Containern: ein gesellschaftspolitischer Konflikt

Er hatte sich im Dezember 2021 selbst angezeigt, nachdem er genießbare Lebensmittel aus Abfallbehältern von Supermärkten genommen und in der Nürnberger Innenstadt verteilt hatte, um auf Lebensmittelverschwendung aufmerksam zu machen. Denn Containern ist in ganz Deutschland verboten. Wer sich Lebensmittel aus dem Container fischt, begeht zum einen Diebstahl und zum anderen Hausfriedensbruch. Als Containern bezeichnet man das Retten von Lebensmitteln, die noch verzehrbar sind, die jedoch in der Tonne von Supermärkten landen. Das passiert täglich bei fast jedem Supermarkt. Mitte Mai war das Ermittlungsverfahren wegen besonders schweren Diebstahls zunächst mangels Tatnachweis eingestellt worden.

Lebensmittelverschwendung in Zahlen. Quelle https://www.welthungerhilfe.de/lebensmittelverschwendung

„Mein Ziel war es, Aufmerksamkeit für diese Thematik zu bekommen. Obwohl ich containert und bewusst eine Straftat begangen habe, sind die Diskussionen für ein Gesetzt zur Rettung von Lebensmitteln gestiegen“, erklärt Alt. „Es ist schlimm genug, dass in einem reichen Land wie Deutschland, Menschen darauf angewiesen sind, sich von Mülleimern von Supermärkten zusätzlich zu versorgen, weil sie sich von ihrer finanziellen Lage her nichts anderes leisten können. Ich finde es ist katastrophal, dass Leute, die um ihr Überleben Willen dazu gezwungen sind, dann auch noch als Verbrecher bestraft werden“, fügt er hinzu. Verbraucher haben daran gewöhnt, dass Lebensmittel im Überfluss verfügbar sind und das Bewusstsein dafür verloren, welche Leistung und welcher Ressourcen- bzw. Energieverbrauch eigentlich hinter den vollen Regalen steht. „Wir leben in einer Zeit, die auf Klimakatastrophen und Hungersnöten zusteuert und aus gründen dieser Dringlichkeit muss es in Deutschland zu einer Bewegung kommen. Wir müssen endlich anfangen umzusteuern, wenn wir unserer nachkommenden Generation noch eine lebensfähige Welt hinterlassen wollen“ sagt er.

Von Sümeyra Kara

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