Die App Tickaroo, die das Team von nordbayern.de benutzt. So können Journalisten jederzeit direkt vom Termin berichten.

Im Schnelligkeitsrausch: Wie Live-Berichterstattung den Journalismus verändert

Es wird Abend am Annafest in Forchheim, der Trubel geht los und die Musik fängt an zu spielen. Mitten im Geschehen: Redakteure der Nordbayerischen Nachrichten in Forchheim, die direkt vom Fest Kurznachrichten auf ihrer Website veröffentlichen.

Für viele Journalisten bestimmt Live-Berichterstattung und die damit einhergehende Schnelligkeit den Alltag, das Internet hat die Entwicklung noch beschleunigt. Die Nebeneffekte: Probleme mit der Technik und die Informationsflut im Internet. Tickern bedeutet, Kurznachrichten online bereit zu stellen und den Nutzer immer nah dabei sein zu lassen. Bisher waren Ticker vor allem in der Sportberichterstattung verbreitet, mit mobilen Apps steht es vielen Redaktionen nun offen, auch bei anderen Events topaktuell zu berichten.

So hat es sich die Redaktion in Forchheim zur Aufgabe gemacht, live vom größten Fest des Jahres zu berichten. Auch im Lokaljournalismus ist Live-Berichterstattung ein großes Thema, obwohl es bei kleinen Redaktionen schwer ist, einen Live-Betrieb aufrechtzuerhalten. „Für ein solches Fest müssen täglich zwei Redakteure im Schichtdienst tickern“, erklärt Georg Körfgen, Redaktionsleiter in Forchheim. Viel Arbeit kommt dabei auf die einzelnen Journalisten zu. Mit dem Ticker sei laut Körfgen besonders viel Vorbereitungszeit verbunden, im Falle des Annafest ganze zwei Tage. Für einen erfolgreichen Ticker müssen beispielsweise schon im Vorfeld Bildergalerien zusammengestellt und der Ablauf organisiert werden. Dazu kommt, dass die Technik, die zum Live-Tickern benötigt wird, oft noch schlecht ausgebaut ist. „Es müssen enorme Datenströme ins Netz des Anbieters Tickaroo eingespeist werden, da reicht die reguläre Datenverbindung oft nicht aus“, erläutert der Redaktionsleiter. Für die technischen Hindernisse muss erst noch eine Lösung gefunden werden.

Vor allem in Online-Journalismus muss alles sehr schnell gehen, das weiß auch Christian Rothmund, Redaktionsleiter von nordbayern.de, dem Online-Portal der Nürnberger Nachrichten und der Nürnberger Zeitung: „Ticker kommen super an. Sie sind praktisch und nehmen dem Print nichts weg.“ Für ihre Liveticker arbeitet die Redaktion mit der Firma Tickaroo zusammen, die zwei verschiedene Angebote für Sport-Berichterstattung und News im Allgemeinen anbietet. Nicht nur die geschriebenen Ticker sind für nordbayern.de ein Thema, sondern auch Live-Berichterstattung: „Momentan benutzen wir noch Facebook Live“, ergänzt Rothmund. Das soziale Netzwerk bietet seit Februar 2016 über seine App einen komfortablen Livestreaming-Service an. Daneben nutzen die Nürnberger Onliner noch andere Netzwerke wie Twitter oder Tumblr.

Kuriosa ziehen Leser an

Wenn die Redaktion einmal nicht Zeit hat, selbst einen Mitarbeiter zu einem Termin zu schicken, dann schafft die Deutsche Presse Agentur (dpa) Abhilfe. Die Agentur bietet seit 2013 selbst Live-Ticker und größere Live-Blogs an, die dann unter anderem an Zeitungen verkauft werden. Für die dpa sind diese Angebote die Zukunft. „Mit geschriebenem Wort kann man heute nicht mehr das große Geld verdienen“, erzählt Süleyman Artiisik, Produktmanager von dpa-live. Die aktuelle Generation sei eine „Breaking news-Generation“, deswegen habe man Live-Blogs, die den Konsumenten mit Bildern, Videoschnipseln und Textbeiträgen immer auf dem Laufenden halten. Die dpa bietet Blogs zu verschiedenen Themen an, Medien können diese dann kaufen und mit einem Code in ihren Webauftritt einbetten. Gerade kuriose Themen bieten Potenzial: „Die Menschen können in der Mittagspause aufs Handy schauen und sich kurz mal amüsieren“, berichtet Artiisik aus eigener Erfahrung. Auch die klassischen Themen kommen nicht zu kurz. Der Live-Blog zum Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 wurde von über 100 Medien genutzt. Für den Korrespondenten ändert sich mit dem Live-Tickern auch der Arbeitsalltag. Die Journalisten verrichten sowohl ihren Basis-Dienst, sie erstellen aber auch multimediale Beiträge, die an die Live-Redaktion geschickt werden. In Sekundenschnelle werden die Nachrichten dann von einem zweiköpfigen Team in der Zentrale in Berlin aufbereitet und die Ticker werden bestückt. Dadurch wird sehr viel Zeit gespart, da für erste Bilder kein Fotograf mehr anreisen muss und der Korrespondent bereits vor Ort ist. In einem Blog kommen Text, Bild und Grafik an einem Ort zusammen. Als Weiterentwicklung plant das Team um Artiisik auch Videos und Liveschalten zu den Korrespondenten, ähnlich wie es bei der Tagesschau gemacht wird.

Für die Medienbranche ist Live-Berichterstattung also ein großes Thema, auch die Zielgruppe muss stimmen. Vor allem junge Erwachsene werden mit den Online-Angeboten angesprochen. „Ich benutze Ticker vor allem für Sportereignisse wie Fußballspiele oder Motorsport“, erklärt Jan Mehl. Der 19-Jährige macht gerade einen Bundesfreiwilligendienst und konsumiert jeden Tag mehrere Medienangebote. Im Hinblick auf die schnelle Entwicklung von Live-Angeboten setzt er auf gründlichen Journalismus. Bezogen auf das Weltgeschehen habe er die Erfahrung gemacht, dass oft nur Schlagzeilen verwendet werden. „Da ist mir ein auf gründlicher Recherche basierender Zeitungsbericht am nächsten Tag deutlich lieber“, weiß Mehl zu schätzen. Für Valerie Albert sind Mobilangebote wichtig. Sie studiert Multimedia und Kommunikation an der Hochschule Ansbach und legt Wert auf vertrauensvolle Quellen. „Livestreams nutze ich nur zur Unterhaltung, für Nachrichten benutze ich Apps“, erzählt Albert.

 Manipulationsgefahr beim Streaming

Live-Angebote werden gut angenommen, Felix Freiling, Professor für IT-Sicherheitsinfrastrukturen an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, weiß auch den Grund dafür: „Da herrscht die Mentalität: Das ist live, das musst du dir unbedingt anschauen.“ Ungefährlich ist das nicht, da es im Internet keine inhaltlichen Schranken mehr gibt. In jüngster Zeit sind bei Facebook Gewaltvideos übertragen worden, auch ein Mord wurde live gezeigt. Sollten gezielt manipulierte oder falsche Inhalte verbreitet werden, sehen in wenigen Sekunden Millionen Menschen den Beitrag. Trotzdem bietet sich Facebook Live gerade für kleinere Redaktionen an, da kostengünstig mit wenig Aufwand viele Menschen erreicht werden. Medien, die stärker auf Live-Berichte setzen, sollten, so Freiling, einen Dienstleister beauftragen oder ihr Angebot selbst  entwickeln.

Bei der Plattform-Auswahl stellt sich für Unternehmen zudem die Frage, wie viel Kontrolle sie über ihr Angebot haben möchten. „Wer selbst Streams auf eigenen Servern betreibt, kann sich sicher sein, dass der gewünschte Inhalt auch beim Nutzer ankommt“, erklärt Freiling. Bei Facebook Live habe immer das soziale Netzwerk das letzte Wort. Damit es nicht zu Gewaltdarstellungen in Live-Videos kommt, fordert Freiling eine Authentifikation der Streamer. Das sei auch für Medienhäuser interessant, die einen Dienstleister für ihre Streams anheuern. Man könne den Plattformen ruhig abverlangen, dass sich die Streamer ausweisen, ein seriöser Dienstleister zeichne sich etwa dadurch aus. Auch für Journalisten ist es beim Tickern sinnvoll, wenn die Nachricht durch mehrere Instanzen geht. Wie IT-Experte Freiling es ausdrückt: „Am Ende einer jeden Kontrolle muss ein Mensch stehen.“

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