Vom Löschen und Leben

Sagt man Hafen, denkt man Hamburg. Diese Wörter sind so unmittelbar miteinander verbunden, dass vor dem geistigen Auge sofort das Bild von Containerschiffen und Lastkränen erscheint, ebenso wie Fischkutter und Kapitäne.

Letztere findet man nur noch selten zwischen den Hightech-Anlagen des drittgrößten Warenumschlagplatzes in Europa. „Ich bin schon immer zur See gefahren“, erklärt Gunnar Weihart ganz ohne Hamburger Akzent: „Auf kleineren Fischkuttern angefangen, die wurden mit der Zeit größer und dann hauptsächlich auf Frachtern gefahren. Viele Container, lange Wege, oft an Hawaii vorbeigekommen, nie angehalten”. Er lacht und nickt dankend den beseelt von Bord Gehenden zu.

Weder eine Kapitänsmütze hat er auf dem Kopf, noch wippt eine Pfeife im Mundwinkel. Seine Worte sind nicht einmal gebrummt oder verlieren sich in einem stattlichen Vollbart. Stattdessen sitzt eine randlose Brille auf der Nase und der Körper steckt in einem einfachen Poloshirt, dessen Kragen etwas unordentlich um den Hals liegt. „Aber wochenlang unterwegs, das brauch‘ ich nicht mehr, jetzt mach‘ ich das.“ Gunnar Weihart zieht an seiner Zigarette, während er einen Blecheimer mit der Aufschrift „Trinkgeld“ an der Reling seines Bootes befestigt. Dreißig Touristen, die eben das Pflichtprogramm eines jeden Hamburg-Urlaubs absolviert und eine Hafenrundfahrt gemacht haben, strömen an ihm vorbei.

Mehrmals täglich steuert der Kapitän seine Barkasse zwischen Containerschiffen und Kreuzern hindurch, kommentiert die Aussicht und schmückt sie mit Geschichten aus dem eigenen Arbeitsalltag, versponnen mit Seemannsgarn.

Die Containerbrücken des Terminals Altenwerder beim Laden und Löschen von Gütern. Foto: Sophia Schulz

„Weniger Taue, mehr Technik“

Ein führerloses Schlepperfahrzeug auf dem Containerterminal Altenwerder. Funksignale und ein Transpondernetz im Boden stellen sicher, dass die Güter zuverlässig an den richtigen Platz gelangen. Foto: HHLA/Fotograf

Die nächste Gruppe wartet, klettert unter den verglasten Aufbau, das Boot legt ab. Nach einer Weile im grau-grünen Wasser lenkt Weihart die Aufmerksamkeit nach steuerbord und fasst die Entwicklung der letzten fünfzig Jahre zusammen: „Weniger Taue, mehr Technik.“ Einige Passagiere stehen auf, machen die Kamera bereit, um im Nieselregen ein paar Aufnahmen von dem Koloss aus Stahl und Beton zu bekommen, an dem sich das Boot nun langsam vorbeischiebt. Es herrscht Hochbetrieb und trotzdem ist der Containerterminal Altenwerder wie leergefegt.

Obwohl hier jeden Tag zehntausende Container bewegt werden, sind kaum Menschen zu sehen. Alles läuft wie von selbst. Kräne hieven die riesigen Stahlkisten aus den Schiffen und laden sie auf führerlose, voll automatisierte Schleppfahrzeuge. Über ein in den Boden eingelassenes Transpondernetzwerk finden diese dann per Funksignal den Ort zur Zwischenlagerung des Containers. Von dort aus wird er wiederum mit Kränen auf Lastwagen oder Zugwaggons geladen. Für den gesamten Vorgang ist kaum mehr als eine Handvoll Arbeiter nötig.

 

Hafenromantik sieht anders aus

Aber der Hamburger Hafen lebt eben von Geschwindigkeit. Immer mehr Güter müssen in immer kürzerer Zeit abgewickelt und weiterverladen werden. Sackkarren und Muskelkraft sind da nur hinderlich. „Unser Terminal wird als einer der modernsten weltweit betrachtet. Der hohe Grad an Automatisierung sorgt dafür, dass wir mehr Container laden und löschen können als je zuvor“, erklärt Christian Lorenz, Mitarbeiter der Hamburger Hafen und Lagerhaus AG (HHLA), dem Unternehmen hinter dem Giganten. Logistik in seiner technischsten Form. Aber auch die programmierte Geisterhand, die über Containerbrücken, Laufkatzen und Schleppfahrzeuge herrscht, kennt ihre Grenzen. Denn „ohne unsere Mitarbeiter in der Entwicklung und an den vielen Schaltstellen wären wir natürlich aufgeschmissen“.

Der Containerterminal Altenwerder erstreckt sich über 1,4 Quadratkilometer. Für die Realisierung musste ein Dorf umgesiedelt werden. Heute steht davon nur noch die Kirche. Foto: Sophia Schulz

Dieses Detail spart Gunnar Weihart lieber aus, denn so ist die Atmosphäre der Hafenrundfahrt noch beeindruckender. Der 63-Jährige entlässt auch diese Hamburg-Reisenden mit vorzeigbaren Bildern für das Familienalbum zurück auf die Landungsbrücken. Ein Seebär Marke Iglo ist er sicher nicht, aber eines hat der Barkassen-Kapitän mit dem verklärten Bild der Seefahrtsromantik gemeinsam: die Sehnsucht, die treibt ihn, denn: „Ohne geht auch nicht!“. Er lacht, tritt die Zigarette aus und geht wieder an Bord.

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