Wagenheber – ein alter Hut der Physik

Bei Reifenpannen geht der Trend zu Pannensets, doch Reifenwechseln ist kinderleicht. Die physikalischen Grundlagen dahinter wurden bereits von Archimedes um etwa 250 v. Chr. untersucht.

„Das Lenkrad hat sich schlagartig verrissen. Ich habe einen dumpfen Schlag gehört. Das war der Bordstein. Beim Weiterfahren tauchte ein lautes Poltern an der Vorderachse auf“, berichtet Student Silvio Rößler über seine letzte Reifenpanne. „Nach dem Aussteigen habe ich sofort den geplatzten Reifen gesehen.“ Der erste Ärger ist jedoch schnell verflogen, wie auch die Luft im Reifen. Denn der Hobby-Autoschrauber hat im Kofferraum immer einen Ersatzreifen und einen Wagenheber dabei.

Statistisch betrachtet hat laut ADAC ein Autofahrer rund alle 150.000 Kilometer einen platten Reifen. In der Pannenstatistik des Verkehrsclubs von 2019 wurde die Unfallursache Reifenpanne von 1998 (6,8 Prozent) und 2018 (7 Prozent) verglichen. Die Rate ist über die Jahre fast gleichbleibend. Heutzutage rufen die meisten die gelben Engel oder benutzen ein Dichtmittel und einen Kompressor aus dem Pannenset. „Wenn im Kofferraum ein Ersatzrad liegt, ist ein Rad schnell selbst gewechselt“, meint Silvio Rößler. „Ob ein neuer Reifen gekauft werden muss oder ob der Alte noch zu flicken ist, entscheidet die Werkstatt.“ Zuerst heißt es Handbremse rein, Gang raus und nach dem Aufstellen des Warndreiecks kann der Reifenwechsel beginnen.

Große Kraft mit alter Physik

Ein aufgekurbelter Scherenwagenheber. Foto: Vivien Hermanns

„Man stellt sich die Frage: Wie bin ich in der Lage ein Auto hochzuheben, obwohl es so viel schwerer ist?“, erklärt Tobias Huf, Masterstudent für Festkörperphysik der FAU Erlangen-Nürnberg. Das Prinzip des Hebelgesetzes, das bei einem Wagenheber angewendet wird, kann bereits Grundschülern beigebracht werden. Die Grundlagen des antiken Physikers Archimedes sind vor allem in der Mechanik relevant. Ein Hebel ist ein fester Körper, der an einer Drehachse ansetzt. Wird zum Beispiel eine Metallstange unter einen großen Stein geschoben, kann dieser mit wenig Kraftaufwand über den Hebel angehoben werden. Ohne diese neue Hilfslänge, würde mehr Kraft benötigt werden.

Außerdem gibt es zweiseitige Hebelmechanismen, bei denen sich beide Seiten im Gleichgewicht befinden. Im Übertragungspunkt der Konstruktion befindet sich die Drehachse. Mathematisch vereinfacht werden beide Seiten gleichgesetzt und pro Seite wird die Kraft mit der Hebellänge multipliziert. Bei einem Scherenwagenheber sind beide Seiten des Prinzips über ein Gelenk verbunden. Der sogenannte Kniehebelmechanismus wird angewendet. Eine Seite des Gleichgewichts führt eine Hubbewegung aus. Dabei werden zwei Hebearme mithilfe einer Gewindestange zusammengeführt. Während sich der Winkel im Gelenk vergrößert, wird das Auto angehoben.

Mensch gegen Auto

Das Auto wird aufgebockt, bis das Rad in der Luft hängt. Foto: Vivien Hermanns

In seiner Hofeinfahrt demonstriert Silvio Rößler, wie leicht ein Wagenheber anzuwenden ist. Er setzt das Drehkreuz an den Radmuttern an und löst sie. Bereits hier greift das Hebelgesetz, um das Anziehdrehmoment der Schrauben zu überwinden. Der Student positioniert den Scherenwagenheber unter der vorgesehenen Auflagefläche der Karosserie und beginnt zu kurbeln. „Anfangs ist das Ganze noch etwas anstrengender, aber je höher das Auto aufgebockt wird, desto leichter wird es.“ Das Auto wird angehoben, bis das beschädigte Rad gerade den Kontakt zum Boden verloren hat und frei in der Luft hängt.

Im Kurbelprozess drückt das Autogewicht, multipliziert mit der Erdbeschleunigung, als Gegenkraft zur aufgewendeten Kraft auf die Kontaktstelle zwischen dem Kleinwagen und dem Wagenheber. Ein Scherenwagenheber stemmt laut Herstellerangaben eine maximale Last von 1,5 Tonnen, kleinere bis zu 750 Kilogramm. Bei einem Reifenwechsel muss nur ein Teil der gesamten Fahrzeuglast angehoben werden.

Kinderleichtes Anheben

Sicherheitshinweise auf einer Säule einer elektrischen Hebebühne. Foto: Vivien Hermanns

In einem Näherungsmodell lässt sich die aufzuwendende Kraft berechnen und daraus die ausgeübte Masse bestimmen. Dabei wird die Reibung vollständig vernachlässigt. Mit einem Scherenwagenheber kann ein Mensch 750 Kilogramm Auto anheben, wendet dabei jedoch nur 2,8 bis 3,7 Kilogramm auf. Ein Wagenrad am Unfallort zu wechseln ist demnach vergleichbar mit dem Heben eines Säuglings. Dazu meint Silvio Rößler: „In der Realität ist der Kraftaufwand eher vergleichbar mit dem Gewicht eines Kindes.“

Nach seiner Reifenpanne folgte auch für den Studenten der Weg in eine Autowerkstatt zum großen Bruder des Wagenhebers. Um in der Werkstatt ein Auto aufzubocken, werden pneumatische oder elektrische Hebebühnen mit Kettenantrieb verwendet. Der Fokus liegt hier vermehrt auf der richtigen Anwendung und Sicherheit als auf der Physik. Außerdem können professionelle Hebebühnen ein Gewicht von bis zu 3,5 Tonnen heben. Bei Silvio Rößler konnte der geplatzte Reifen jedoch nicht mehr geflickt werden. „Aus Sicherheitsgründen bekam ich auf jeder Seite meiner Vorderachse einen neuen Reifen,“ erzählt er. „Und ich konnte gleich ohne großen Aufwand weiterfahren.“

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