Zwischen Farnblättern und Schnitzereien

Hauptsache so weit weg wie möglich – das war mein Grundsatz, als ich mir überlegte nach dem Abitur für ein paar Monate ins Ausland zu gehen.

Eine Auszeit von Verpflichtungen, Zukunftsplänen und der deutschen Bürokratie. Schnell stand fest, es sollte nach Neuseeland gehen. Angekommen im fremden Land hieß es erst mal, typisch Deutsch, den schon vorher zurechtgelegten Plan abzuarbeiten. Zuerst ins Hostel, die Lage erkunden, eine neue SIM-Karte holen und ein Bankkonto eröffnen. Immer noch verblüfft, wie schnell sich ein neues Bankkonto eröffnen ließ, wohlgemerkt nur mit der Adresse der Unterkunft, erledigte sich der Plan schneller als erwartet. Doch anders als in Deutschland sind Termine bei den Neuseeländern scheinbar nur obligatorisch zu betrachten. Diese leben eher nach der Devise: ,,Was du heute kannst besorgen, das kannst du auch noch morgen!“. Auf mehrmalige Nachfrage kam schlussendlich eine kurze Nachricht vom Autohändler, dass das Auto, besser gesagt die neue Dauerunterkunft, erst morgen statt heute abholbereit sei.

Wasserverlauf der Whangarei Falls. An den Ufern wachsen Farnblätter. Foto: Lilly Fröbel

Am anderen Ende der Welt scheint die Atmosphäre noch tiefenentspannt zu sein. Der Negativismus der Deutschen ist hier nicht zu finden. Von der ,,No Worries‘‘ – Philosophie der Kiwis getrieben stand nun lockere Kleidung, barfuß laufen und vor allem mit der Natur verbunden sein auf der Tagesordnung. Mit knapp 4,7 Millionen Einwohnern auf einer Fläche von 267.710 Quadratkilometern, was etwa zwei Drittel der Fläche von Deutschland entspricht, ist hier mehr Natur als Zivilisation zu finden. Frisch aus einer Quelle abgeschöpftes Wasser, auf Gesicht und Arme getupft, soll Glück und gutes Gelingen bringen. Das meinte zumindest Julian, der bei einer Reifenpanne mitten im Nirgendwo zur Hilfe kam. Er ist ein waschechter Kiwi, in Neuseeland geboren und aufgewachsen. Kurzerhand organisierte er eine Werkstatt und einen neuen Reifen. Gesegnet mit dem Wasser von Mutter Erde verabschiedete ich mich dankend für seine Hilfsbereitschaft. Von der Maori-Kultur der Ureinwohner geprägt ist die Natur auch bei der Restbevölkerung von großer Bedeutung. Da ist es kein Wunder, dass die zwei bekanntesten Wahrzeichen Neuseelands das Silberfarnblatt und der Kiwi darstellen – nicht die dort wachsende Frucht Kiwi, sondern der Vogel, nach dem die Einwohner benannt sind.

Die eindrucksvolle Kunst der Ureinwohner

Die Kunst der Maori zieht sich durch das ganze Land. Fast in jeder Ortschaft sind ihre Versammlungsstätten, die Marae zu finden. Zu jeder Marae gehört ein Gemeinschaftsraum, der sogenannte Wharenui. Dieser ist verziert mit eindrucksvollen Schnitzereien, die zungenbleckende Gesichter mit weit aufgerissenen Augen zeigen. Auf den ersten Blick wirken diese Anblicke ziemlich furchteinflößend und lösen ein Unwohlsein aus.

Als Erinnerung an Neuseeland und die positiven Erfahrungen ist diese Figur mit nach Deutschland gekommen. Foto: Lilly Fröbel

Genau dieses Gefühl zeigte sich auch, als ich Tiara und ihren Bruder John kennenlernte. Tiara ist eine junge alleinerziehende Mutter, die mich zu sich zum Frühstücken einlud, als sie sah, dass ich mit meinem Auto auf der Straße campte. Zögerlich aber überrascht über dieses Angebot saß ich nun in der Küche einer eigentlich fremden Frau. John, mit breitem Kreuz und dunklen Haaren, trat in die Küche. Mit seinem tätowierten Gesicht erinnerte er stark an die Schnitzereien der Wharenui, wie eine Maske zierten schwarze Linien sein gesamtes Gesicht. Da war es wieder, dieses Unwohlsein, obwohl es eigentlich keinen Grund dafür gab. Anderes Land, andere Bräuche.  Zum Glück legte sich dieses Gefühl schnell, denn John bemerkte das Unbehagen, lächelte und erklärte den Hintergrund seiner Tattoos. Sie heißen Moko und zierten früher nur die hochrangigen Maori, vor allem im Gesicht, da der Kopf als das heiligste Teil des Körpers galt. Heute tragen sie vermehrt Männer und Frauen als Zeichen der Maori-Identität. Aus anfänglichem Fremdsein entwickelte sich geradezu eine Euphorie für die Bräuche der Maori. Die aus Holz geschnitzten, Zunge bleckenden Skulpturen schienen auf einmal faszinierend statt unheimlich. So war es ein Muss, eine dieser Figuren als Souvenir mit nach Hause zu nehmen.

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