Akzeptanz und Lächeln sind das A und O

Die Liebe brachte sie dazu, den langen Flug von Indonesien nach Deutschland auf sich zu nehmen. Es war kurz nach Neujahr, als sie auf Reisen in Vietnam ihren deutschen Freund kennenlernte. Zusammen sahen sie Hanoi und Hoi-An. Einige Monate später ließ die 35-Jährige sich auf das Abenteuer Deutschland ein.

Möchtest du dich kurz vorstellen? 

Titis Setianingtyas: Du kannst mich Tyas nennen. Wie du vielleicht weißt, hat Indonesien viele verschiedene Ethnien. Deshalb sollte ich erwähnen, dass ich Javanesin bin. Ich lebe in einer Stadt namens Yogyakarta. Manche behaupten, es sei die kulturträchtigste Stadt in Java. Und nach meiner Erfahrung ist es nach Jakarta auch die facettenreichste. Ich bin eine ehemalige Journalistin und versuche derzeit mein Glück als Filmproduzentin. Mein Team und ich haben für eine Vielzahl an Sendern gearbeitet, darunter: Channel Asia, Discovery Channel Asia Pacific, National Geographic Asia und BBC.

Foto: Tim Neiertz

Was hat dich bewogen, nach Deutschland zu kommen? Mit welcher Einstellung hast du deine Reise angetreten?

Setianingtyas: Ich bin nach Nürnberg gekommen, um meinen Freund Frank zu besuchen, den ich im Urlaub in Vietnam kennengelernt hatte. Insgesamt durfte ich drei Monate in Nürnberg verbringen. Um ehrlich zu sein, hab‘ ich mich vorher nie wirklich mit der deutschen Kultur auseinandergesetzt. Ich habe jedoch bereits vorher Bekanntschaft mit mehreren Deutschen gemacht, so dass ich ein gewisses Bild von den Deutschen und ihrer Kultur im Kopf hatte.

Den Deutschen sagt man oft nach, sie seien nicht gerade die offensten Gesprächspartner. Was war da dein Eindruck?

Setianingtyas: Das stereotypische Bild des verschlossenen, wortkargen und wenig humorvollen Deutschen hat mein Freund zu großen Teilen zerstört. Zum Beispiel ist er eine sehr offene und aufgeschlossene Person, die keinerlei Probleme hat, auf Menschen zuzugehen. Ich würde sogar sagen, dass er sehr geschwätzig ist. (lacht)
Nach ungefähr einem Monat in Deutschland konnte ich sagen, dass sich dieses Stereotyp über die Deutschen nicht im geringsten bestätigt hat. Meiner Meinung nach sind sie sehr nette Menschen. Vielleicht keine wirklichen „Eisbrecher-Typen“, aber wenn du sie mit einem Lächeln ansprichst, lassen sich die meisten mit Freude auf ein Gespräch ein. Ich erinnere mich an einen Moment im Lebensmittelladen, als eine nette, ältere Dame mir half, ein Shampoo zu finden, ohne dass ich sie um Hilfe bat. Sie bemerkte wohl meinen verwirrten Blick und entschied sich, mir zu helfen. Das war total schön!

Viele behaupten, die Deutschen hätten keinen Sinn für Humor. Wie siehst du das?

Setianingtyas: Das Vorurteil, Deutsche verstünden keine Ironie, kann ich auch gar nicht bestätigen. Franks Freunde haben einen sehr ironischen und zuweilen sarkastischen Humor, den ich auf jeden Fall zu schätzen lernte. Ingesamt fand ich es schön, mit ihnen Zeit zu verbringen und sich über mehrere Stunden zu unterhalten. 

Kannst du uns ein wenig schildern, wie du das Alltagsleben in einer deutschen Stadt erlebt hast?

Setianingtyas: Ich liebe es, wie die Deutschen mit ihrem Müll umgehen. Besonders das Recycle-System ist großartig! Die öffentlichen, immer pünktlichen Transportmittel haben mich schwer beeindruckt – ebenso die vielen Radwege in Nürnberg. Ich hatte immer das Gefühl sicher zu sein, wenn ich durch die Stadt fuhr, egal ob mit der Straßenbahn oder mit dem Rad. Der gegenseitige Respekt vor der Privatsphäre des anderen und das respektvolle Miteinander in der Nachbarschaft sind toll! Ich hatte das Glück in einer sehr netten Nachbarschaft zu leben. Und auch in der Innenstadt erwiderten die Menschen mir oft mit einem Lächeln auf den Lippen. Vielleicht weil ich auch immer am Lächeln bin. (lacht)

Foto: Tim Neiertz

Foto: Tim Neiertz

Foto: Tim Neiertz

Hast du in diesen drei Monaten auch andere Teile von Europa gesehen?

Setianingtyas: Ich hatte die Gelegenheit, mit Frank nach Prag, Milan und Turin zu reisen. Also hab ich einen kleinen Eindruck von europäischen Kulturen und Verhaltensweisen bekommen. Die Italiener sind definitiv gesprächiger und es war eine tolle Erfahrung. Aber um ehrlich zu sein, war mir das dann doch ein bisschen zu viel des Guten. Da Prag so eine touristische Stadt ist, hat es mich verwundert, warum die Leute dort so steif und kalt im Vergleich zu den Deutschen wirken.

Welchen kulinarischen Eindruck hat Deutschland bei dir hinterlassen?

Setianingtyas: Das Essen hat mich sehr überrascht: Die Deutschen lieben Würste! Ich liebe deutsche Würste! Insgesamt habe ich nichts probiert, das mir nicht geschmeckt hat. Deutschland ist berühmt für sein Oktoberfest, nicht? Deutschland  ist auf jeden Fall die Biernation! Leider bin ich keine wirkliche Biertrinkerin. Also kann ich leider nicht wirklich was über die Qualität des deutschen Bieres sagen. Aber aus Respekt vor der deutschen Kultur würd‘ ich sagen, dass das deutsche Bier gut ist! Prost!

Foto: Tim Neiertz

Wenn du einen Aspekt raussuchen müsstest, worin sich die Deutschen von den Leuten in deiner Heimat unterscheiden, welches wäre das?

Setianingtyas: Wenn ich so darüber nachdenke, ist der Hauptunterschied zwischen der deutschen und der indonesischen bzw. javanesischen Kultur die Akzeptanz. Lass‘ mich das ein wenig ausführen. Wir in Java leben ein entspanntes, nicht allzu modernes und teilweise unorganisiertes Leben. Sehr anders als das klar strukturierte, moderne, geplante und polierte Leben, das die meisten Deutschen führen. Nichtsdestotrotz respektieren wir harte Arbeit, akzeptieren aber in gleichen Maßen die kleinen Fehler und Schwächen. Wir wissen, dass wir nicht perfekt sein können und wollen es auch gar nicht. Ich glaube, diese Akzeptanz hilft uns, das Leben auf eine lockere Art und mit einem echten Lächeln im Gesicht zu bestreiten. Vielleicht ist das ein Aspekt, den die Deutschen von der indonesischen Kultur lernen könnten. Ich glaube, die deutsche Kultur ist sehr darauf bedacht, der Perfektion hinterherzujagen. Das ist großartig in vielerlei Hinsicht. Aber vielleicht wirft es einen Schatten auf ihre Menschlichkeit und macht sie weniger empfänglich für das Glück in den kleinen Dingen. Es ist schwer, das Leben zu akzeptieren, wenn wir Imperfektion nicht akzeptieren können. Und es lässt uns vergessen wirklich zu lächeln.

Das Interview wurde auf Englisch von Tim Neiertz geführt.

 

 

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