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Das Autotelefon: Auf Achse und doch immer erreichbar

Durch die Schneeflocken erspäht Günther Schneider das Straßenschild. Endlich ist er im Funkbereich von Nürnberg angekommen. Zeit, sein Autotelefon Typ B72 wieder einzuschalten.

Ein Beitrag von Fabiana Hörmann

Günther greift nach dem Bedienteil seines Autotelefons, das am Armaturenbrett montiert ist. Mit einem lauten Klicken schaltet er auf Kanal 41. Allerdings gerät sein Auto dabei leicht ins Schlingern. Er flucht: „Wird Zeit, dass die Kollegen aus der Entwicklung endlich die automatische Kanalwahl marktreif machen. Jedes Mal von Hand den Kanal zu wechseln, wenn man in einen anderen Funkbereich kommt, ist wirklich lästig. Aber wer nicht immer den richtigen Kanal für den jeweiligen Funkbereich einstellt, ist nun mal auch nicht erreichbar.“

Immer vorausgesetzt, dass der Teilnehmer sich innerhalb eines Funkbereiches aufgehalten hat. Den ganzen Tag über war Schneider nicht erreichbar gewesen. Sein Verkaufsgespräch in Pegnitz hatte stundenlang gedauert. Und Pegnitz war nun einmal noch ein einziges großes Funkloch. „Beim Netzausbau des öffentlichen beweglichen Landfunks hat die TeKaDe wahrlich noch Einiges zu tun. Aber wenigstens haben wir es mit der Einführung des A-Netzes geschafft, alle Mobilfunknetze zu vereinheitlichen“, denkt Günther voller Stolz. Für ihn als Mitarbeiter der Süddeutsche Telefon-, Apparate-, Kabel- und Drahtwerke AG – kurz TeKaDe – war die Einführung des weltweit ersten einheitlichen Funknetzes genauso ein Meilenstein in der Geschichte wie Jurij Gagarins erster Flug ins All wenige Jahre zuvor.

Ein verhängnisvoller Anruf

Das Schnarren des Autotelefons reißt Günther aus seinen Gedanken. Ihm schwant nichts Gutes. Wiederwillig nimmt er den Telefonhörer ab. „Günther Schneider am Apparat, mit wem spreche ich bitte?“, fragt er. „Hier ist Abteilungsleiter Weber. Endlich erreiche ich Sie.  Das heißt wohl, Sie sind auf dem Rückweg nach Nürnberg?“, tönt es aus dem Hörer.„Ich habe gerade erst das Nürnberger Land erreicht. Auf der A9 hat es einen Unfall gegeben und der Verkehr hat sich stark gestaut. Deshalb bin ich von der Autobahn abgefahren und nehme jetzt die Landstraße“, antwortet Günther. „Was den Kunden in Pegnitz angeht…“, setzt Schneider an, wird jedoch sofort unterbrochen.

„Das können Sie mir morgen berichten. Jetzt gibt es Wichtigeres: Der Kollege Huber hätte heute noch bei einem Kunden in Nürnberg ein Verkaufsgespräch. Allerdings hat sein vorheriger Termin länger gedauert als geplant und er wird es nicht rechtzeitig zurück nach Nürnberg schaffen. Sie sind ja schon viel näher dran, daher übernehmen Sie den Termin. Wie stehen wir denn sonst da, wenn wir den Kunden warten lassen! Die Einzelheiten können Sie ja beim Kollegen erfragen. Das wäre alles.“ Bevor Schneider auch nur irgendetwas erwidern kann, hat sein Chef schon aufgelegt.

Mercedes Heckflosse

Der Mercedes W111, wegen seiner markanten Form auch „Heckflosse“ genannt, war ein typisches Automobil der 60er, in dem häufig nachträglich ein Autotelefon verbaut wurde. Foto: public domain

Genervt knirscht Günther mit den Zähnen. Schnell wirft er einen Blick auf seine Armbanduhr. Schon fünf Uhr. Verärgert beschleunigt er seine „Heckflosse“. Aber es nützt alles nichts, Weber war nun mal sein Vorgesetzter. Der Huber hatte einen Termin in München gehabt, daran erinnert sich Günter. Welcher Kanal war das noch gleich? Er kramt in den Taschen seines Sakkos nach seiner Taschentabelle. „Ah ja, da steht es ja. Auch Kanal 41. Na, das passt ja“, murmelt Schneider und greift zu seinem Autotelefon.

Es klackt in der Leitung. „Vermittlung, was kann ich für Sie tun?“, ertönt es am anderen Ende. „Verbinden Sie mich bitte mit der Funkrufnummer 2413880. Sollte im Raum München unterwegs sein“, sagt Schneider. „Und Ihre Rufnummer?“, fragt das Fräulein vom Amt. „Die 2455553“, antwortet Günther. „Einen Moment bitte. Ich verbinde.“ Es knackt wieder und dann ist Funkstille, als die Verbindung abgebrochen wird. Schneider rollt mit den Augen. Es war wirklich lästig, jedes Mal das Gespräch abzubrechen und erneut zu verbinden, nur um festzustellen, ob er auch wirklich von dem Autotelefon mit der Nummer 2455553 anrief. Und das ganze Prozedere nur, damit niemand sein Gespräch bei einer anderen Rufnummer auf die Rechnung setzten konnte.

Nach ein, zwei Minuten klickt es in der Leitung: „Klaus Huber am Apparat, mit wem spreche ich?“ „Guten Abend Klaus, hier ist der Günther“, antwortet Schneider. „Ach, grüß’ dich Günther. Was gibt es denn? Hast du nicht schon längst Feierabend?“, fragt Klaus. „Schön wär’s“, seufzt Günther, „Abteilungsleiter Weber hat mir noch einen Kundentermin aufs Auge gedrückt. Er meinte, du schaffst den heute nicht mehr?“ „Tut mir leid, dass du das jetzt abbekommen hast. Aber ich bin ganze zwei Stunden länger in dieser zermürbenden Besprechung festgesteckt als eigentlich geplant. Der Kunde, zu dem du fahren musst, heißt Karl Holzmann. Ein Bauunternehmer mit Büroräumen in der Grünbergerstraße in Fischbach. Das meiste habe ich mit Herrn Holzmann auch schon besprochen. Du musst nur noch den Leasing-Vertrag für sein Autotelefon Typ B72 mit ihm durchgehen“, erklärt Klaus.

Ein Leichtgewicht

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Das B72 bestand aus einem Bedienteil mit Hörer, einem Sender und Empfänger (unten), sowie dem Selektivrufsatz (rechts). Dieser wurde gebraucht, um jedem Autotelefon eine individuelle Funkrufnummer zuzuteilen.
Foto: Fabiane Hörmann

„Na, wenn’s nur das ist. Das sollte ja nicht lange dauern“, meint Schneider hoffnungsfroh. „Herr Holzmann ist auch ein sehr umgänglicher Kunde. Er war von unserem Miet-Modell äußerst angetan“, versucht Klaus ihn aufzumuntern. „Ja, das kann ich mir denken“, erwidert Günther, „der Kaufpreis ist ja auch sehr happig. Immerhin könnte man für 5000 DM auch gleich einen ganzen VW Käfer bekommen. Das macht das Leasing-Modell für unsere Autotelefone natürlich interessanter für Unternehmen.“

Klaus gerät langsam ins Schwärmen: „Und auch die Technik hat große Fortschritte gemacht: Vor rund zehn Jahren waren Autotelefonanlagen noch so schwer wie eine erwachsene Frau. Heute wiegen alle drei Bauteile unseres B72 zusammen gerade einmal 20 Kilogramm. Der Sender und Empfänger sowie der Selektivrufsatz lassen sich dabei bequem auch in einem kleineren Kofferraum verstauen. So muss nur das kleine Bedienteil am Armaturenbrett verbaut werden. Darüber hinaus lassen sich Sender und Empfänger sowohl für das Autotelefon Typ B72 als auch für das Nachfolgemodell B82 benutzen. Man braucht nur ein neues Bedienteil, schon ist das B72 auf ein B82 umgerüstet. Da kann sich Telefunken noch eine Scheibe abschneiden von uns!“ „Da hast du recht“, stimmt Günther zu, „daher wundert es mich nicht, dass wir von unserem B72 schon rund 2000 Stück unter die Leute gebracht haben.“

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Ende der 60er erhielten viele Sender/Empfänger eine Doppelzulassung als B72 oder B82. Foto: Fabiane Hörmann

„Hör mal, Günther: Ich verlasse gleich meinen Funkbereich. Lass’ uns das Gespräch beenden, bevor es abbricht und wieder neu vermittelt werden muss. Wir sehen uns dann am Montag im Büro. Danke nochmal, dass du mir den Herrn Holzmann abnimmst“, sagt Klaus. „Schon gut, allerdings wird mir Helga wahrscheinlich ordentlich das Fell gerben, wenn ich zu spät zum Abendessen komme“, antwortet Günther. Klaus fängt an zu lachen: „Ja, wenn es ums Abendessen oder ihre gute Stube geht, ist mit deiner Frau wirklich nicht zu spaßen.“ „Freut mich, dass dich das amüsiert. Bis Montag dann“, entgegnet Günther und legt den Hörer auf die Gabel.

Beim Gedanken an Helga drückt er noch einmal aufs Gas. Eine Weile fährt er weiter über die kurvige Landstraße. Inzwischen ist es bereits stockdunkel geworden. Mit einem Blick auf seine Armbanduhr seufzt Schneider schwer: „Rechtzeitig zum Abendessen schaffe ich es garantiert nicht mehr nach Hause. Ich sollte wohl Helga anrufen und ihr Bescheid sagen.“ Ihr Gekeife kann er schon jetzt in seinen Ohren hören: „Bis du aus Fischbach wieder zurück bist, wird das Essen bereits eiskalt sein. Für wen stelle ich mich eigentlich den ganzen Tag in die Küche?!“ Günther biegt um eine Kurve, doch gerade als er in Gedanken zu seiner Verteidigung ansetzen will, kommt das Auto heftig ins Schlingern. Die Räder rutschen auf dem Glatteis hin und her. Hektisch versucht Günther gegenzulenken. Da kommt das Auto auch schon von der Straße ab und plötzlich wird alles schwarz um ihn…

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