
Das Fräulein vom Amt
„Hier Amt, was beliebt?“, war die Frage, die jeder Anrufer ab 1881 hörte, als sich das Fräulein vom Amt meldete. Das Berliner Telefonnetz war das erste Telefonnetz im Deutschen Reich, in dem es zu Beginn 99 Anschlüsse gab.
Ein Beitrag von Rainer Bayer
Die Nummern standen in einem Telefonbuch, das die Berliner auch spöttisch das „Buch der 99 Narren“ nannten. Aber auch wenn die Nummer im Telefonbuch stand, das Fräulein vom Amt musste die Verbindung stecken.

Gerda Korneck im Museum für Kommunikation Nürnberg Foto: Mile Cindric
Gerda Korneck war eines dieser Fräuleins vom Amt, die als Telefonistin im Vermittlungsamt Marktheidenfeld der Deutschen Bundespost tätig war. Nach ihrer Mittleren Reife bewarb sie sich bei der Deutschen Bundespost und fing im mittleren Dienst an. Sie war ab 1957 zu jeder Tages- und Nachtzeit die erste Ansprechpartnerin für Telefonate. „In der Anfangszeit mussten die Fräuleins vom Amt auch noch ledig sein, was sich aber bald änderte“, erzählt die 76-Jährige. Der Anrufer nahm den Hörer ab und Frau Korneck meldete sich mit „Hier Fernmeldeamt, was kann ich für Sie tun?“. Der Anrufer musste nun die Nummer und den Namen des gewünschten Telefonpartners nennen. Wenn eine Leitung frei war, steckte sie dann bei der jeweiligen Nummer im Verbindungspult ein, um das Gespräch zu verbinden. Alle drei Minuten mussten die Fräuleins reinhören, ob das Gespräch noch lief oder schon zu Ende war. Ein Lämpchen leuchtete zwar auf, wenn ein Teilnehmer aufgelegt hat, aber zur Sicherheit mussten die Amtsdamen dies überprüfen.
Zu spät geweckt
„Den Namen und die Telefonnummer der beiden Teilnehmer sowie die Dauer des Gesprächs haben wir auf dem Gesprächsblatt vermerkt und an die Rechnungsstelle weitergegeben“, erzählt das ehemalige Fräulein vom Amt über den Ablauf einer Vermittlung. Zuerst war sie in Marktheidenfeld für Ortsvermittlungen zuständig, bis drei Jahre später der Selbstwahldienst eingeführt wurde. „Alle sechs Tage hatten wir Nachtdienst, wo wir meist allein waren. Auch an Sonn- und Feiertagen mussten wir arbeiten, wenn andere frei hatten“, sagt Korneck. Hier war das Fräulein vom Amt auch nachts für den Auftragsdienst zuständig, der tagsüber von Kolleginnen übernommen wurde. Aber wenn diese Kolleginnen noch nicht da waren, dann mussten die Telefonistinnen auch dies erledigen. Einmal verwechselte die Telefonistin die Weckzeiten und rief einen Kunden 30 Minuten zu spät an. „Der war richtig sauer wegen eines verpassten Geschäftstermins und beschwerte sich.“ Ihr Vorgesetzter nahm sie jedoch in Schutz.
Nach drei Jahren in Marktheidenfeld kam Gerda Korneck 1960 nach Aschaffenburg. Auch hier wurde der Selbstwahldienst nach kurzer Zeit eingeführt und sie wurde nach drei Jahren Aschaffenburg nach Würzburg versetzt. „Ich musste mir in jeder neuen Stadt ein Zimmer suchen und wusste nie, wie lange ich hier arbeiten werde.“ Aufgrund ihrer guten Englischkenntnisse kam sie nach Würzburg ins Auslandfernamt und vermittelte Gespräche ins Ausland. Hier meldeten sich oft GIs der US-Army, die nach Hause telefonieren wollten.

Vermittlungspult der Bundespost Foto: Rainer Bayer
Einsame Anrufer
Die GIs mussten bis zu acht Stunden warten, bis ihre Verbindung zustande kam. Die Soldaten meldeten sich an, Gerda Korneck notierte sich Name und Telefonnummer des Anrufers und des gewünschten Partners sowie die geplante Zeit, in der das Telefonat stattfinden sollte. Da die Gespräche damals lange brauchten, um verbunden zu werden und dazu teuer waren, dauerten sie aber nicht allzu lang. Wichtiges wurde in kurzer Zeit übermittelt. Wenn die Fräuleins beschäftigt waren, bildeten sich auch hier Wartezeiten, bis der Vermittlungswunsch erfüllt werden konnte. Sobald eine Telefonistin wieder frei war, konnte sie dann den nächsten Anrufer verbinden. „Einige ließen ihren Dampf ab und waren sauer“, berichtet die Pensionistin. Aber es gab auch schöne Erlebnisse. Eine Kollegin lernte bei der Arbeit einen US-Soldaten kennen, den sie später heiratete. Auch Korneck hatte immer wieder GIs am Telefon, die einsam waren und gerne mit ihr plauderten.
„Wir wurden ständig gefragt, ob wir Neuigkeiten erfahren und ob wir mit Promis geredet haben“, erzählt die 76-Jährige lächelnd. „Ich habe aber nichts gesagt, da wir nach Paragraph 10 des Grundgesetztes dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterlagen. Wir durften mithören, aber nichts weitergeben.“ Nachdem auch hier keine Amtsdamen mehr gebraucht wurden, arbeitete sie ab Mitte der 1960er in der Auskunft in Würzburg. Hier machte ihr die Arbeit aber keinen Spaß und sie wollte versetzt werden. Aber ein Vorgesetzter meinte: „Der Beruf ist doch abwechslungsreich, es ist jedes Mal eine neue Nummer.“ Schließlich wechselte sie im Fernmeldeamt in die Rechnungsstelle. Angefallene Einheiten wurden hier mit dem Anrufer verrechnet und die Rechnungen erstellt. Später ging sie an die Fernmeldeschule und das Bildungszentrum in Nürnberg und Ismaning. Hier schulte sie Kolleginnen und Kollegen und gab ihr Wissen weiter. „Ich wurde oft gefragt, ob ich nichts Besseres als Arbeit gefunden hätte, als dieses Rumstöpseln.“ Aber Gerda Korneck blickt zufrieden auf ihr Berufsleben bei der Bundespost zurück.
Informationen zum Museum
Museum für Kommunikation
Lessingstraße 6
90443 Nürnberg
Öffnungszeiten: Di – Fr 09:00 – 17:00 Uhr, Sa – So 10:00 – 18:00 Uhr