Ein Held mit schlechten Nachrichten

Der Feldfernschreiber aus dem Zweiten Weltkrieg bittet zum Interview. „Bis Anfang Januar haben Sie Zeit. Das sollte reichen“, erklärt uns die Dozentin. Genug Zeit, um das alte Gerät, das optisch einer kleinen Schreibmaschine mit Anbau ähnelt, noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Ein Beitrag von Pascal Baumgartner

Doch welche dunklen Geschichten genau in dem kleinen Gerät schlummern, ahne ich nicht. Mit harten Heavy-Metal-Tönen auf den Ohren laufe ich die kleine Rampe hinunter, auf den Eingang des Geräte-Archivs der Technischen Hochschule Nürnberg zu. Vor der Tür angekommen, nehme ich die Kopfhörer ab und klopfe gegen die Tür. Nach ein paar Sekunden ohne Antwort drücke ich die schwere Türklinke nach unten und betrete das Archiv. Der Raum ist mit Regalen in zwei einzelne, enge Gänge unterteilt und gefüllt mit allerlei altertümlichen Geräten, von denen ich bei gerade mal der Hälfte die vorgesehene Funktion auch nur ansatzweise erraten könnte. Da ich nun schon zweimal hier unten war, um das Gerät zu fotografieren und den Gerätenamen zu erfahren – Typ 58 Tz 206 – weiß ich natürlich ganz genau, wo es steht. Trotzdem verweile ich noch kurz im Eingang und betrachte die durch das Kellerfenster scheinenden Sonnenstrahlen, welche die durch die Tür aufgewirbelten Staubflocken vor den alten Relikten der Hochschule beleuchten. „Naja, jetzt aber mal ran an die Arbeit. Umso schneller bin ich hier wieder draußen“, denke ich mir und gehe direkt zu meinem Gerät, das sich zwischen Regal 1 und 2 befindet.

Nach kurzer Betrachtung fällt mir sofort ein, dass es laut Mail der Kursbetreuung noch ein weiteres Gerät geben soll, das wohl mit diesem korrespondiert. An der Seite des zweiten Geräts entdecke ich eine Art Steckplatz. „Hier passt doch das Kabel von dem kleinen Türmchen rein“, schießt mir durch den Kopf und neugierig überprüfe ich, ob meine Annahme in die Praxis umzusetzen ist. Ein bisschen am Kabel wackeln und schon flutschen alle Pins des Kabels in die dazugehörige Buchse.

Mit einem lauten Knall springt sofort die untere Schublade des Typ 58 auf. Durch den Schreck mache ich einen Satz nach hinten und stolpere dabei beinahe über eine alte Mignon Schreibmaschine.

Seltsamer Kasten! „ER BLUTET! Wie lautet der weitere Einsatz? Ich muss einen Notruf absetzen!“

Typ 58 mit offenen Lochstreifenablagen Foto: Pascal Baumgartner

Ich rufe: „Wie kann das denn sein? Ist das ein schlechter Scherz? Wollt ihr mich veräppeln? Kommt raus!“

Ich falle endgültig über den Laptop-Vorfahren und lande schmerzhaft auf dem harten Boden.

Es tönt aus dem Kasten: „Wer sind Sie? Wo ist Feldwebel Heinrich?“,

Ich glaube, ich träume. „Kannst… Kannst du sprechen? Aber wieso? Du bist doch eine Schreibmaschine? Wer ist Feldwebel Heinrich? Feldwebel, das ist doch ein Begriff vom Militär.“

Ich betrachte die kleinen Hakenkreuze und Reichsadler, die auf das Gerät aufgedruckt sind.

„Eine Schreibmaschine? Ich bin ein Feldfernschreiber! Manche nennen mich auch Hell-Schreiber oder einfach nur Typ 58. Aber wenn ich mich so umschaue, ist wohl einige Zeit seit meiner letzten Verwendung vergangen. Ich habe wirklich lange geschlafen.“

Lange geschlafen? „Du bist anscheinend ein Gerät, das zur Zeit des Zweiten Weltkriegs verwendet wurde. Der ist mittlerweile über siebzig Jahre her. Ich muss für meinen Kurs einen Gerätesteckbrief über dich schreiben und brauche eigentlich nur ein paar Informationen und technische Details. Jetzt bin ich aber doch an deiner Geschichte interessiert. Wo kommst du her und was hast du erlebt?“

Typ 58: „Naja, mir bleibt ja anscheinend keine andere Wahl. Viel zu tun haben werde ich wohl auch nicht mehr in meinem Leben. Ich merke, wie meine Innereien schon lange nicht mehr geölt wurden, geschweige denn gewartet. Was möchten Sie denn wissen?“

„Fang doch einfach von vorne an. Was ist das Erste, an das du dich erinnern kannst?“

Typ 58: „Nunja, angefangen hat alles bei meiner Produktion. Wie ich gefertigt wurde, daran habe ich keine Erinnerungen. Allerdings wurde ich danach auf Herz und Nieren getestet. Als ich das erste Mal erwachte, blickte ich in die Augen eines sehr abgemagerten jungen Mannes. Seine Augen waren gläsern und sahen sehr traurig aus. Auf seiner Brust prangte ein Stern. Ich denke mal, dass sich so die Arbeiter ausweisen konnten. Er hat kein Wort geredet, sondern drückte nur wild auf jede Taste und jeden Knopf, den er finden konnte. Danach …“

Typ 58 wird von mir hastig unterbrochen: „Warte mal – bedeutet das etwa, du wurdest wirklich in einer Produktionsstätte direkt neben einem Konzentrationslager hergestellt? Hersteller Siemens & Halske, natürlich… Das war damals fast normal. Ein Zwangsarbeiter hat dich gebaut und getestet. Was ist danach passiert? Du wurdest immerhin direkt in eine schreckliche Welt geworfen!“

Typ 58: „Schreckliche Welt? Das kam erst später. Zunächst erlebte ich die schönsten Jahre in meinem Leben. Ich hatte meinen festen Platz und einen sehr angenehmen Arbeitstag im Büro von Herrn Müller. Einen Heeresbeamten der Wehrmacht. Auf seinem Schreibtisch habe ich so einige Geschichten erlebt.“

„Geschichten? Arbeit? Was ist denn überhaupt deine Aufgabe?“

Typ 58: „Ich bin – wie bereits erwähnt – ein Feldfernschreiber. Mit mir konnten Nachrichten verschickt und empfangen werden. Unter meiner kleinen Tastatur befinden sich zwei Schubladen mit Rollen aus Papier. Lochstreifen nennt man die. Die eine Rolle wird nach links durch die Druckwalze geführt und dort mit Farbe geprägt. Der andere Papierstreifen wird nach oben zu meiner Stanzwalze geleitet und dort mit kleinen Erhebungen versehen, die sich durch die gedrückten Buchstaben ergeben. In meinem kleinen Turm an der linken Seite werden die Erhebungen in kurze Funkmitteilungen oder empfangene Funksprüche in Buchstaben übersetzt. Mein Zusatzgerät – mit dem du mich verbunden hast – nennt sich 24a-32 und lässt sich am besten als elektrische Bedieneinheit beschreiben, die nebenbei für die richtige Frequenz sorgt und …“

Typ 58 wird erneut von mir mitten im Satz unterbrochen.

Druckwalze mit Lochstreifenführung Foto: Pascal Baumgartner

„Ok, ok, Ich verstehe. Das finde ich bestimmt auch alles in Google heraus. Erzähl mir lieber, wie deine Geschichte weitergeht.“

Typ 58: „Gugel? Naja gut, also wie gesagt – es folgten die schönsten Jahre auf dem Schreibtisch vom Heerbeamten Müller. Ich sorgte für die Kommunikation zwischen den Generälen und dem Stab – den Büro-Angestellten – und war der absolute Held, als ich meinen stationären Einsatz antrat. Mein Vorgänger hat es nicht mal geschafft, bei einer Störung im Funkverkehr den restlichen Satz ordnungsgemäß abzubilden. Bei mir fehlte ab und an mal ein kleiner Buchstabe. Der Sinn der Nachricht war dennoch zu erkennen. Nebenbei habe ich die Nachrichten immer doppelt untereinander auf das Papier gedruckt. Heerbeamter Müller hat am Anfang den Papierstreifen immer schief in die Vorrichtung geführt. Durch meine hohe Fehlertoleranz habe ich mir schnell einen guten Namen gemacht und war der absolute Favorit im Versenden und Empfangen von Nachrichten.“

„Aber mussten die Nachrichten nicht verschlüsselt werden? Immerhin stand der Krieg kurz zuvor oder war schon im Gange?“

Typ 58: „Ver- und Entschlüsseln kann ich leider nicht. Aber bei etwas geheimeren Nachrichten hatte Heerbeamter Müller eine Tabelle, mit der er die unverständliche Aneinanderreihung von Buchstaben in normale Wörter übersetzte. An eine Nachricht kann ich mich noch ganz genau erinnern. Als ich sie gedruckt habe, sah ich bereits die herunterfallenden Mundwinkel meines Heerbeamten.“

„Was stand denn da?“

Typ 58: „Wir brauchen Ihre Unterstützung an der Front.“

„Was hieß das für dich?“

Typ 58 ist eine Weile still, bevor er wieder zu sprechen beginnt.

Typ 58: „Als ich das nächste Mal in den Einsatz kam, spürte ich, wie ich in einem Fernmeldebus über holprige Straßen raste. Die Erschütterungen waren so stark, dass sogar der Lochstreifen öfter aus der Vorrichtung rutschte und meine gelagerte Stanzwalze drohte an der Aufhängung zu brechen.“

„Du bist also auch mobil verwendbar?“

Typ 58: „Ja, dazu werde ich in einem kleinen Kasten an der Wand befestigt, damit ich nicht durch das ganze Auto geschleudert werde. Mein Platz in der Aufbewahrung ist unten links. Der 24a-32 befindet sich dabei im rechten oberen Eck. Alles etwas eng, doch das war nicht das Schlimmste zu dieser Zeit in meinem Leben.“

„Lass mich raten: Die Inhalte der Funksprüche waren das Schlimmste.“

Typ 58: „Nicht direkt, denn die meisten waren sowieso verschlüsselt. Was ich jedoch nie vergessen werde, ist das Gesicht von Feldwebel Heinrich. Er verschickte grausame Nachrichten, wie er an der polnischen Grenze Menschen grausam ermordet hat und sich nun damit brüstet. Heerbeamter Müller war da von einem ganz anderen Schlag. Die nette Art und die Emotionen bei schrecklichen Neuigkeiten machten ihn menschlich. Feldwebel Heinrich war das komplette Gegenteil. Er hackte so stark auf meine Tastatur ein, dass mein ganzes Metallgehäuse an den Schraubstellen zu knarzen begann. Das verschmitzte Lächeln, dass sich dabei in seinem Gesicht abzeichnete, ließ fast den Strom in meiner Leitung erfrieren. Mein Leben in dem engen Kasten, auf den holprigen Wald- und Landstraßen, mit diesem furchtbaren Menschen war die Hölle für mich.“

Typ 58 in Benutzung Foto: Pascal Baumgartner

„Wie endete die Geschichte für dich? Wurdest du wieder in den stationären Betrieb gesetzt?“

Typ 58: „Ganz im Gegenteil. Meine Geschichte endete mit einem riesigen Paukenschlag. Der Fernmeldebus wurde eines Tages vom Feind getroffen. Ich flog durch die Luft und landete mitten in der Reifenspur, die wir erst kurz zuvor mit unserem Fahrzeug im Schlamm hinterließen. Feldwebel Heinrich lag ein paar Meter von mir entfernt. Das verschmitzte Lächeln hatte er nicht mehr auf den Lippen. Sein Gesichtsausdruck war leer und der Körper rührte sich nicht mehr. Das war das Letzte, an das ich mich erinnern konnte. Bis Sie mich geweckt haben, war ich im Tiefschlaf.“

„Ich könnte dich wieder aufpolieren und zum Laufen bringen. Die Technik ist zwar nicht die neueste, jedoch gibt es viele Hobbyfunker, die sich mit Geräten wie dir die Zeit vertreiben.“

Typ 58: „Nein, ich habe für meinen Teil genug erlebt. Jetzt ist die Zeit für andere technische Geräte. Ich bleibe hier unten bei den anderen alten Relikten, von denen jedes seine eigenen Geschichten erzählen kann. Ich bin bereit, für immer ausgeschaltet zu werden.“

Ich schalte den Siemens & Halske Typ 58 Tz 206 ab, drehe mich um und verlasse das Archiv, noch immer das Gespräch im Ohr.

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