Abtasten zweier Schreibgeräte

Wenn sich zwei Schreibgeräte unterhalten, zwischen denen rund 100 Jahre Entwicklung liegen.

Ein Beitrag von Bernhard Schmid

Laptop: Hey du!

Mignon: I-Ich? Wer spricht da?

Laptop: Hier drüben! Oder siehst du sonst noch ein zur Kommunikation fähiges Gerät?

Mignon: Nee.

Laptop: Na, hier. Das dünne, schwarze, aufklappbare Teil mit der leuchtenden Innenseite.

Mignon: Oh, hallo! Wie heißt du denn?

Laptop: Um ehrlich zu sein, habe ich gar keinen richtigen Namen. Die heutige Generation an Schreibgeräten bekommt als Bezeichnung lediglich eine Reihe an zusammengewürfelten Zahlen und Buchstaben – jedenfalls wirkt es so.

Mignon: Das ist ja furchtbar, tut mir leid! So kann der Schreibende doch gar keine wirkliche Bindung zu dir herstellen!

Laptop: Dafür kann ich eine Verbindung herstellen. Zum Internet.

Mignon: Zum was?

Laptop: Zum Internet. Grob gesagt sind dort alle Rechner – so wie ich einer bin – miteinander verbunden. Wir können Informationen austauschen und so weiter und so fort. Vorausgesetzt natürlich, unser Besitzer lässt es zu. Aber nochmal zurück: Wie heißt du eigentlich?

Der Laptop sucht nach Informationen zur Mignon. Foto: Bernhard Schmid

Mignon: Mignon! Und du sprichst für mich in Rätseln.

Laptop: Klingt ja niedlich. Weißt du, dass niedlich eine mögliche Übersetzung aus dem Französischen für deinen Namen ist? Gleichzeitig wird so in der Typographie auch ein Schriftgrad von „7 Punkt‟ bezeichnet. Diese beiden Informationen konnte ich mir soeben in kürzester Zeit im Internet beschaffen. Verstehst du jetzt?

Mignon: Zumindest ein bisschen besser. Ich vertraue trotzdem auf das Wissen, das Menschen in Büchern festhalten und weitergeben.

 

 

 

Bei der Recherche zur Schreibmaschine Mignon von AEG ließ der Autor sie mit seinem Laptop in einem Raum stehen. Da das moderne Gerät höchst multitaskingfähig ist, fing es wohl aus Langeweile ein Gespräch mit der verstaubten Schreibmaschine an. An dieser Stelle bietet es sich an, ein paar zusätzliche Informationen einzuschieben. Konstrukteur der Mignon ist der 1845 in Aschaffenburg geborene Dr. h. c. Friedrich von Hefner-Alteneck. Er fing mit 22 Jahren als einfacher Arbeiter bei Siemens & Halske an. Er erlebte dort einen steilen Aufstieg zum Chef-Konstrukteur und galt fortan als enger Vertrauter von Werner Siemens. Später verließ er die Firma, arbeitete zunächst eigenständig und wurde 1897 schließlich in den Aufsichtsrat der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) berufen. Dort beauftragte ihn deren Gründer Emil Rathenau mit dem Bau einer Schreibmaschine. Von Hefner-Alteneck dachte zuerst an eine Standard-Typenhebelschreibmaschine mit elektrischem Antrieb. Diese bewertete ein Gutachter nach Prüfung allerdings als äußerst negativ, was Rathenau dazu veranlasste, die Weiterentwicklung einzustellen. Man entschied sich also für Plan B: Ein von Hefner-Alteneck gleichzeitig entwickelter Tasterapparat nach einem Patent von Louis Sell aus dem Jahr 1901 wurde demnach in Serienproduktion gegeben. Sie wurde später als Mignon bekannt.

Laptop: Jedem das Seine. Sag mal, wie funktionierst du eigentlich? Du siehst anders aus als die Schreibmaschinen, die ich bisher gesehen habe.

Mignon: Ganz recht! Anders als die meisten Schreibmaschinen funktioniere ich über einen Buchstabenzeiger, der mit einem Typenzylinder verbunden ist. Der Schreiberling bewegt dabei den Zeiger mit seiner linken Hand über den gewünschten Buchstaben, wobei über eine Zahnstange in meinem Inneren der Zylinder so bewegt wird, dass er in allen Dimensionen über dem Farbband platziert werden kann. Mit dem Mittelfinger der rechten Hand kann er die Schreibtaste anschlagen, woraufhin der Buchstabe auf das Papier gedrückt wird.

Der Typenzylinder wird nach Betätigen der Schreibtaste nach unten auf das Blatt Papier gedrückt. Foto: Bernhard Schmid

Mit dem Zeigefinger der rechten Hand betätigt er dann nach jedem Wort die Zwischenraumtaste. Nach jeder abgeschlossenen Zeile lasse ich ein kurzes Glockensignal ertönen, damit mein Benutzer nicht vergisst, die Zeile umzuschalten. Dafür muss er dann den rechten Auslösehebel und den Zeilenschalthebel gegeneinander drücken und gleichzeitig den Schlitten von links nach rechts führen, bis ich ihm Widerstand leiste. Das Farbband läuft beim Schreiben übrigens automatisch langsam von einer Spule zur anderen. Und du?

Die Mignon in der Seitenaufnahme: Im unteren linken Bildrand sieht man die Schreibtasten, in der Mitte die Spule mit dem Farbband. Foto: Bernhard Schmid

Laptop: Puh, das ist im Detail ziemlich kompliziert und so viel Zeit haben wir wohl nicht. Wenn wir es oberflächlich beim Schreiben belassen, lässt es sich relativ kurz zusammenfassen: Der Benutzer schreibt mit allen acht Hauptfingern, die Daumen ruhen über der Leertaste. Die Hände ordnet er dabei einigermaßen mittig an, damit er jede Taste zügig erreichen kann. Und deine Methode geht schnell?

Mignon: Einigermaßen. Mein Buchstabenfeld ist in zwei Hälften eingeteilt: links befinden sich die Groß-, rechts die Klei

nbuchstaben. Rings herum gruppieren sich Ziffern, Zeichen und Umlaute. Die einzelnen Buchstaben wurden dabei so um das Zentrum angeordnet, wie sie ihrer Häufigkeit nach im Sprachgebrauch vorkommen. Die am häufigsten wiederkehrenden Buchstaben sind mittig zu finden, wodurch der Schreibende grundsätzlich nur kurze Bewegungen mit dem Zeiger durchführen muss. In meiner Gebrauchsanweisung steht jedenfalls, dass nach Übung „eine Schnelligkeit von 250 bis 300 Buchstaben und mehr in der Minute‟ möglich seien. Viele meiner Nutzer hielten das jedoch für etwas optimistisch.

Laptop: Allerdings. Selbst geübte Zehnfingerschreiber erreichen nur etwa 200 bis 400 Anschläge pro Minute. Und irgendeinen Grund muss es ja haben, dass so ein Schmuckstück wie du so verstaubt hier herumsteht.

Die Mignon im Museum Industriekultur ist mit dem ungarischen Zeichensatz ausgestattet. Foto: Bernhard Schmid

Tatsächlich gilt diese Technik des Schreibens spätestens seit 1936 als überholt. In diesem Jahr wurde die Produktion des letzten Modells aufgrund schwindender Nachfrage endgültig eingestellt. Bereits die vier Jahre davor wurden Verluste verzeichnet. Dabei war die Mignon anfangs ein großer Erfolg für AEG. Die Mängel des ersten Modells, das 1903 auf den Markt gekommen war, wurden schnell ausgemerzt. So erschien schon im darauffolgenden Jahr die stark verbesserte zweite Generation. Friedrich von Hefner-Alteneck erlebte den Erfolg seiner Erfindung nicht mehr, denn er verstarb überraschend noch im selben Jahr und vor der Markteinführung an einem Schlaganfall. In den Jahren 1904 bis 1913 verkaufte sich das Modell etwa 42.000 Mal. In letzterem Jahr startete die Produktion der Nachfolger-Reihe. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde die Mehrzahl der ausgebildeten Fachleute eingezogen und die Werkstätten dienten fortan größtenteils zur Fertigung von Kriegsmaterial – darunter litt auch die Fabrikation der Mignon stark. In den frühen 1920er Jahren kam die Produktion der dritten Ausführung wieder in Gang, 1924 folgte dann Modell 4. Mit den nun über 36 verschiedenen Typenwalzen für verschiedene Sprachen und Schriftgrade sowie der praktischen Rücktaste wurde sie mit 200.000 produzierten Einheiten zur erfolgreichsten Schreibmaschine ihrer Familie. 1933 kam mit der Olympia Plurotype als Nachfolger der Mignon die letzte deutsche Zeigerschreibmaschine auf den Markt; es war jedoch bereits zu erkennen, dass der vorherige Erfolg nicht wiederholt werden konnte. Insgesamt verkauften sich die verschiedenen Typen der Mignon über 360.000 Mal. Diese Zahl ist beachtlich, denn in den Anfangsjahren der Mignon waren noch Stehpulte und Kopierpressen in den Büros üblich und privat wurde vorzugsweise mit Feder und Tinte geschrieben.

Foto: Bernhard Schmid

Mignon: Tja, ein bisschen schade finde ich es schon, dass mir kaum noch Beachtung geschenkt wird. Andererseits braucht doch jeder seinen Ruhestand. Und den habe ich mir durch meinen gesellschaftlichen Nutzen redlich verdient.

Laptop: Wie meinst du das?

Mignon: Auch wenn du mir das vielleicht nicht ansehen magst, war ich für damalige Zeiten sehr leicht zu handhaben. Außerdem war meine Technik für jedermann schnell zu erlernen und ich war auch noch verhältnismäßig günstig. So konnten sich mich auch kleine Geschäftsleute, Gewerbetreibende, Handwerker und Freiberufler leisten, deren Alltag ich sicherlich deutlich entlastet habe.

Laptop: Das gilt für mich dann wohl gleichermaßen. Heutzutage kann sich so gut wie jeder ein Gerät wie mich leisten. Die Konstrukteure haben uns inzwischen so leicht und handlich gestaltet, dass wir überall mit hin können.

Mignon: Da werde ich auf meine alten Jahre ja doch noch neidisch. Von der Welt hätte ich gerne mehr gesehen.

Laptop: Ja, da haben wir es wohl besser erwischt. Ob im Internet oder auf der Parkbank unter Bäumen, meinesgleichen sieht viel von der Außenwelt.

Mignon: Apropos Bäume. Kennst du Vicki Baum?

Laptop: Ich kann schnell herausfinden, wer das ist – wieso?

Mignon: Ach, eine Verwandte hat mir mal erzählt, dass Vicki Baum auf ihr geschrieben hat. Die Autorin von „Menschen im Hotel“. Kennst du das Buch zufällig?

Laptop: Äh, nein. Dafür hätte mein Besitzer wohl eine für mich lesbare Version kaufen müssen. Aber den Film habe ich gesehen. Laut Internet sogar oscarprämiert.

 

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