Frankreich, meine zweite Heimat

Ein fester Ort, ein bestimmtes Geräusch oder ein gemeinsamer Dialekt – der Begriff Heimat hat für jeden eine andere Bedeutung. Sandra Wittl ist Halbfranzösin. Nach dem Studium in Clermont-Ferrand ist sie zurück nach München gezogen. Für sie ist Heimat gleichbedeutend mit Familie.

 

Du hast jetzt fünf Jahre in Frankreich gelebt. Musstest du dich nach deinem Umzug nach München wieder an Deutschland gewöhnen?                                                                                       

In gewisser Weise schon. Allerdings passiert das bei mir automatisch. Deutschland und Frankreich sind sich im Großen und Ganzen sehr ähnlich, aber zum Beispiel ist die Art der Kommunikation ganz unterschiedlich. Deutsche sind eher zurückhaltend-höflich, Franzosen dagegen weitaus offener beim Kennenlernen.

Gibt es Dinge, die du hier an Frankreich vermisst?                                           

Ja, allen voran das französische Essen. In Frankreich findet das ganze kulturelle Leben in der Küche statt. In Deutschland fehlt mir das ein wenig. Hier bleibt man teilweise sogar in der Mittagspause am Arbeitsplatz und isst schnell etwas am Computer. In Frankreich geht man mittags zum Essen aus und genießt das Ganze mehr. Andersrum habe ich in Frankreich bayerische Brezen vermisst.

Du hast in München eine neue Heimat gefunden. Warum kam deine Mutter damals nach Bayern?                                                                                               

Das war auf einem deutsch-französischen Städteaustausch. Meine Eltern haben daran teilgenommen und sich kennengelernt. Schlussendlich ist meine Mutter dann nach Deutschland gezogen.

Was bedeutet der Begriff „Heimat“ für dich?                                                                     

Familie. Heimat ist für mich da, wo meine Familie ist. Da sich meine Verwandten in Deutschland und in Frankreich befinden, habe ich mehr als eine Heimat.

Wenn du dich für ein Land entscheiden müsstest, welches würdest du wählen?

Eindeutig beide. Meinen Wohnort würde ich aber, müsste ich mich noch einmal entscheiden, wieder in Deutschland suchen. Hier habe ich meine Wohnung und meinen Job.

Gibt es stereotypische Eigenschaften an dir, die du als deutsch oder  französisch einschätzt?         

Meine Art zu kochen ist eher französisch. Mein Arbeitsverhalten, das strukturierte und organisierte Vorgehen, ist eher typisch deutsch. Allgemein finde ich die Unterschiede zwischen Deutschen und Franzosen aber eher gering. In Frankreich diskutiert man lieber über Politik, vor allem bei Familientreffen.

Wie hält deine französische Verwandtschaft von Deutschland?                                                     

Meine Familie ist von Deutschland begeistert. Sie lieben die Sprache und deutsches Essen, weil es so anders ist, als das typisch Französische. Außerdem finden sie das deutsche Schulsystem besser.

Sehen deine französischen Verwandten einen Unterschied zwischen Bayern und Deutschland oder ist für sie der klischeehafte Bayer in Lederhosen und Bierkrug gleichbedeutend mit dem typischen Deutschen?                                                                              

Tatsächlich ist für sie alles typisch Bayerische gleichbedeutend mit allem Deutschen. Schweinebraten mit Knödel ist für sie das deutsche Nationalgericht. Das kommt daher, dass, wenn sie zu Besuch kommen, bayerisch gekocht wird und innerhalb Bayerns Ausflüge unternommen werden.

Wie werden andere Kulturen innerhalb Frankreichs gesehen?                                                        

In Frankreich gibt es unterschiedliche Ansichten, was fremde Kulturen angeht. Zum Beispiel gibt es viele Vorurteile gegenüber Menschen aus dem arabischen Raum. In dieser Hinsicht finde ich Deutsche im Vergleich weltoffener. In Frankreich gibt es seit der Kolonialzeit viele Einwanderer, teilweise werden aber Immigranten der dritten Generation noch diskriminiert.

Wurdest du von deinen Eltern eher französisch oder eher deutsch erzogen?

Von der französischen Seite habe ich eher Offenheit, Höflichkeit und Freundlichkeit mitgenommen. Von der Deutschen eher Selbstständigkeit und Struktur, frei nach dem Motto: „Arbeite gut und viel“!

Was ist für dich das aktuell prägnanteste Ereignis in Frankreich?                                 

Die letzten Wahlen. Frankreich ist im Vergleich zu Deutschland sehr weit rechts abgedriftet. Das liegt unter anderem an der instabilen Wirtschaftslage. Meine ehemaligen Kommilitonen hangeln sich teilweise von einem Gelegenheitsjob zum Nächsten, ohne Aussicht auf eine Festanstellung. In Deutschland hatte ich keine Probleme, mit meinem Studium einen passenden Job zu finden.

„Heimat ist da, wo meine Familie ist.“ Sandra Wittl. Foto: Luisa Schuster

 

Zum Thema Politik und typisch deutsch: Gibt es eigentlich einen französischen Nockerberg?             

In dem Format leider nicht. In Frankreich haben wir dafür sehr viele Satire-Magazine, wie zum Beispiel „Charlie Hebdo“ oder  „Le canard enchaîné“,  wobei ersteres aber weitaus bekannter und frecher ist.

Gibt es Unterschiede zwischen deutschen und französischen Medien?                                       

Ja, vor allem bei den Nachrichten. Französische sind eher reißerisch, daher tauscht man sich so gerne mit der Familie darüber aus. Dafür sind sie aber auch tiefgründiger als deutsche Nachrichten. In Frankreich dauert eine Nachrichtensendung eine Stunde. Erst wird regional berichtet, dann kommen Nachrichten aus ganz Frankreich und dann folgen erst internationale Berichte. Am Ende gibt es oft noch Interviews mit einem Prominenten oder es wird ein Fest oder ein neuer Kinofilm vorgestellt. Frankreich ist an sich mehr auf sich bezogen. Im Vergleich sind  deutsche Nachrichten er knapp und prägnant, dafür aber auch gut recherchiert und neutral.

Gibt es Brauchtümer oder typische Feste, die es in Deutschland nicht gibt?                             

Bei uns in Frankreich wird der 6. Januar groß gefeiert. Es gibt einen besonderen Kuchen, den „Galette de rois“. In den Teig wird eine Figur mit eingebacken und wer das Stück mit Figur erwischt, ist für einen Tag der König.

 

 

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