Größenwahnsinn zum Anfassen – ehemaliges Reichsparteitagsgelände

„Hitler wollte den Krieg in die Köpfe der Menschen bekommen! Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Konzeption des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes im Südosten Nürnbergs“, sagt Philipp Bayerschmidt.

Seine Stimme tönt durch den Bus, während er eine Gruppe interessierter Besucher über das Gelände chauffiert. „Das über elf Quadratkilometer große Areal diente allein zur Machtdemonstration und Propaganda der nationalsozialistischen Ideologie.“ Der Verein „Geschichte für Alle“ organisiert regelmäßig Rundfahrten und Führungen über das Gelände. Die Videosequenzen im Bus lassen die Teilnehmer in die Geschichte eintauchen. Hitler fährt mit dem Auto durch die jubelnde Menschenmenge über das Zeppelinfeld auf die Kanzel der Steintribüne zu. Die Inszenierung rund um Regime und „Führerkult“ gelingt an den Reichsparteitagen in einschüchternder Kulisse perfekt. Ein Blick aus dem Fenster des Busses zeigt die steinernen Relikte einer dunklen Zeit, wie sie bereits verfallen und von Menschen bevölkert sind. Rund um den Dutzendteich gehen sie heute ihrer Freizeitbeschäftigung nach. Da stellt sich Erleichterung ein, dass dieser Ort heute nur noch Mahnmal für Vergangenes ist.

Informationseinheit des Geländeinformationssystems Reichsparteitagsgelände. Foto: Ronja Dörr

Geschichte und Gegenwart

Die monumentalen Bauten stampfte das NS-Regime unter Hitlers Befehl zwischen 1933 und 1938 aus dem Boden. Als der Reisebus in den Innenhof der Kongresshalle fährt, wirkt er im Verhältnis zu den hohen Mauern klein und schmächtig. Das Kolosseum Roms zum Vorbild, sollte hier eine Versammlungshalle enormer Größe entstehen. Bayerschmidt erzeugt das Bild einer mit 50.000 Menschen gefüllten Halle, deren Deckenfenster das Licht gebündelt auf das mittig angeordnete Rednerpult des „Führers“ geworfen hätten. Diese enormen Dimensionen eines Gebäudes verdeutlichen die größenwahnsinnige Übersteigerung, die charakteristisch für die Nationalsozialisten war.

„Spätestens wenn sich ein mulmiges Gefühl einschleicht und man immer kleiner wird, erschlagen von der Wirkung des gigantischen Gebäudes, versteht man, wie die Manipulation in den Köpfen der Menschen wirken sollte“, schaudert es eine Passantin, die inmitten des „Kolosseums“ steht und drei Informationstafeln betrachtet.

Zusätzlich zu den geführten Rundgängen vermitteln Informationseinheiten der Stadt Nürnberg Besuchern seit 2001 an 23 Standorten die geschichtlichen Hintergründe. Leicht gekippt zueinander stehende, große Edelstahltafeln tragen Erklärungen und Hinweise zur Geschichte des jeweiligen Ortes. Durch bebilderte Fenster können Passanten einen Blick zurück in die Geschichte werfen. „So überlagern sich Geschichte und Gegenwart im Auge des Betrachters“, beschreibt das Kulturreferat Nürnberg. Auf diese Weise ist es Interessierten an Ort und Stelle oder im Vorübergehen möglich, sich eigenständig mit dem dunklen Kapitel Nürnbergs auseinanderzusetzen.

Die Fassade bröckelt. „Stärke“ symbolisierender Granit über einfacher Ziegelsteinmauer. Foto: Ronja Dörr

Erhalt oder Verfall Zeppelinfeld

Dreidimensional und gefühlsmäßig erfahrbare Geschichte ist gerade in einer Zeit wichtig, in der in Vergessenheit gerät, wie es einmal so weit hatte kommen können. Aber vor allem die Gesamtanlage Zeppelinfeld ist marode und einsturzgefährdet. Der Stadtrat entschied einstimmig, das Areal als „Lern- und Freizeitort“ zu erhalten. Es solle nicht aufgewertet, aber konserviert werden, damit die ursprüngliche Funktion des Zeppelinfeldes als Herrschaftssymbol und Kulisse der Massenspektakel noch nachvollziehbar bliebe, schreibt „Geschichte für Alle“ in seiner Stellungnahme zum zukünftigen Umgang mit dem Reichsparteitagsgelände. Die Instandhaltung der Bauten sei von großer Bedeutung, sagt Bayerschmidt, denn einen Geschichtsort derartiger Wichtigkeit auszulöschen würde zum Vergessen beitragen. Die steinernen Zeugen und das Erleben der tatsächlichen Dimensionen könnten bei den über 200.000 Besuchern jährlich intensivere Eindrücke hinterlassen als jede noch so gut bebilderte Ausstellung.

Die Steintribüne heute auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände. Foto: Ronja Dörr

Naherholungsgebiet ehemaliges Reichsparteitagsgelände

Heute werden die Steintribünen und das Zeppelinfeld jeden Sommer zum Norisring, an dem die Autorennen der Deutschen Touren Meisterschaft, kurz DTM, ausgetragen werden. Tausende Menschen lauschen dann dem dröhnenden Motorenlärm und keiner mystifiziert das Gelände an dem früher tausende Menschen Veranstaltungen zur Machtinszenierung beiwohnten. Alle Jahre wieder, zu Rock im Park, begegnen sich außerdem friedlich an die 240.000 Musikfans auf dem Areal. Die heutige Naherholungsfunktion des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes steht im starken Kontrast zur nationalsozialistischen Nutzung. Und während heute die Besucher einfach so neben den steinernen Zeitzeugen stehen, ist es manchmal unvorstellbar, was hier vor etwa 80 Jahren geschehen ist, und genau deshalb von höchster Wichtigkeit daran zu erinnern.

 

Website des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände.

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