Eine Sonne für Zuhause

„Nicht nur besser aussehen, sondern sich auch besser fühlen“ – mit diesem Slogan warb das Fürther Versandhaus Quelle im Jahre 1958 für ihre „Quellux-Sonne“. Doch kann eine einfache Höhensonne auch die erste gemeinsame Urlaubsreise eines jungen Ehepaares retten?

Ein Waffeleisen in Retro-Design oder doch ein pastellfarbenes Ufo? Auf den ersten Blick kann sich Alex keinen Reim auf das ca. 26 cm breite Objekt aus Kunststoff vor ihr machen. Eigentlich wollte sie nur die Weihnachtsdekoration aus dem Keller holen, dabei stieß sie auf ein rätselhaftes Objekt mit drei schwarzen Standfüßen. „Quellux-Sonne“ steht in altmodisch wirkenden Lettern auf dem Deckel. Um der Sache näher auf dem Grund zu gehen, beschließt sie, ihrer Oma Elli einen Besuch abzustatten.

1904 ließ sich Richard Küch die erste Höhensonne patentieren. Diese wurden vor allem in Arztpraxen und Sanatorien zur Behandlung von Rachitis und Hautkrankheiten eingesetzt. Foto: Luisa Schuster

„Das ist ja meine alte Höhensonne, wo hast du die den ausgegraben? Das muss jetzt fast fünfzig Jahre her sein, dass ich die das letzte Mal in den Händen hatte.“ Oma Elli wirkte sichtlich überrascht. Die achtzigjährige wischte verträumt mit ihrer Handfläche den Staub von der oberen Hälfte der Lampe. „Habe ich dir eigentlich schon mal die Geschichte von unserer Hochzeitsreise und der Sonne für Zuhause erzählt?“

Ein Sprung in das Jahr 1958

„Schatz hast du die Koffer schon aus dem Keller geholt?“, rief Elli ihrem frisch angetrauten Ehemann Erich zu, doch noch ehe dieser zu einer Antwort ansetzen konnte, schrillte plötzlich das Telefon im Flur. Mit einem Stirnrunzeln nahm Elli den Hörer ab. „Guten Tag, spreche ich mit Fräulein…äh Frau Emmerich?“ Die heisere Männerstimme erkannte Elli sofort. Es war der ältere, leicht vergesslich werdende Leiter des Fotostudios, bei dem sie zurzeit arbeitete. „Am Apparat, Herr Schwaiger. Ist etwas passiert? Mein Gatte und ich waren gerade dabei unsere Koffer für den Urlaub zu packen“, antwortete Elli etwas besorgt. „Ja das tut mir jetzt furchtbar leid, aber… aber ich habe ganz vergessen, der Großauftrag für die Firma Schmidt soll doch übernächsten Montag fertig sein.“ Ellis Miene verdunkelte sich. Ein vergessener Großauftrag bedeutete, dass ihre Pläne für die Flitterwochen wohl ins Wasser fallen würden. Sie verabschiedete sich und legte den Hörer zurück auf die Gabel. „Tja, was soll‘s, dann führe ich meinen neuen Tellerrock aus dem Quelle-Katalog einfach so mal aus.“ Sie versuchte zwar, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, ihr Ehemann Erich kannte seine Frau jedoch nur zu gut. Er wusste, wie sehr sie sich auf Rimini gefreut hatte. Schließlich war das Ehepaar Meyer von schräg gegenüber erst frisch gebräunt von ihrem Urlaub in den Bergen zurückgekommen und erzählten jetzt begeistert von ihren Erlebnissen. „Quelle-Katalog…“, murmelte Erich. Plötzlich hatte er eine Idee.

Eine Sonne für Zuhause

Er schnappte sich den Quelle-Katalog, der immer auf dem kleinen Nierentisch im Wohnzimmer lag und durchforstete akribisch das Angebot des Fürther Versandhandhauses. Seit dem Wiederaufbau des Unternehmens nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Sortiment des Katalogs ständig erweitert. Während man in den späten 20er- und 30er-Jahren vor allem Kleidung und Kurzwaren bestellen konnte, erstreckte sich das Angebot Anfang der 50er-Jahre auch auf Möbel und Elektrogeräte. Endlich, auf Seite 299, gleich unter dem „Express-Bügelautomat“ fand Erich, wonach er gesucht hatte: die Quellux-Sonne. „Das wäre doch gelacht! Wenn wir nicht in die Sonne kommen, dann hole ich sie für Elli einfach in unser Wohnzimmer.“ Mit einem breiten Lächeln im Gesicht wählte er mit seinem Zeigefinger die angegebene Nummer des Versandhandels und wartete auf das Fräulein von der Bestellannahme.

„Gesunde Bräune“ dank der Quecksilberdampflampe

Das Konzept der Quellux-Sonne war 1958 nicht neu. Bereits 1904 ließ sich der Wissenschaftler Richard Küch die erste „Hanau Original Höhensonne“ patentieren. Die Hauptbestandteile waren eine mit Quecksilberdampf gefüllte Quarzlampe und zwei Heizwendeln in einer Glasröhre, die Infrarotstrahlung abgaben. An beiden Enden der Quecksilberlampe befanden sich Metallelektroden, zwischen denen bei Stromfluss ein elektrisches Feld aufgebaut wurde. Sobald eine ausreichend große Menge an Quecksilber verdampft war, leuchtete die Lampe hell auf. Ohne Schutzglas war die Lampe durchlässig für ultraviolette Strahlung. Bei der Quellux-Sonne konnte zudem zwischen zwei Funktionen gewählt werden: nur Infrarotstrahlung oder Infrarot- und UV-Strahlung. Der Grund dafür war, dass die Quecksilberdampflampe eine Vorschaltdrossel, in Form von zwei Heizwendeln, benötigte, um den Strom künstlich zu verringern. So wurde ein Durchbrennen der Lampe verhindert.

Ein paar Minuten Bestrahlung pro Woche sollten, laut Hersteller, ausreichen, um die positiven Auswirkungen der Höhensonnen zu fühlen. Die Katalog-Werbung versprach den Nutzern der Quellux-Sonne eine breite Anzahl an medizinischen Anwendungen. Von der „Neubildung des Gewebes und von Abwehrstoffen“ bis hin zu „Heilwirkungen bei Erkältungen“ sowie ein „gesundes und frisches Aussehen“.

Die Alternative zur Italienreise

Nur ein paar Minuten pro Woche sollte man die Höhensonne nutzen, sonst riskierte man schnell einen Sonnenbrand im Gesicht. Foto: Luisa Schuster

Als Elli Erichs Geschenk öffnete, konnte sie ihren Augen nicht trauen. Von Höhensonnen hatte sie bereits von ihrer Nachbarin Frau Meyer gehört, denn sie galten als beliebte Haushaltsartikel. Doch eine Original Hanau Höhensonne hätte die Ersparnisse der Meisten aus der Mittelschicht bei Weitem überstrapaziert. Die Quellux-Sonne hingegen war mit einem Preis von 78 DM auch für die breite Masse erschwinglich. Elli war begeistert von der rosa-gelben Quellux-Sonne. Ihr Ehemann Erich schaffte es einfach immer sie aufzuheitern, selbst wenn sie nicht, wie 11,5 Millionen andere Deutsche im Jahr 1958 verreisen würden. Mit ihrem hellen Licht und den wärmenden Infrarotstrahlen konnte die Quellux-Sonne zwar nicht mit einer Reise nach Rimini konkurrieren, aber Elli hatte sich letztendlich mit ihrem Schicksal abgefunden. Immerhin konnte sie nun dank der UV-Lampe auch etwas Farbe in ihr Gesicht bringen. Man musste schließlich das Beste aus der Situation machen.

Ein überraschender Anruf

In dem Moment, als Elli ihre neue Quellux-Sonne zum ersten Mal ausprobieren möchte und gerade im Begriff war, den Kippschalter auf „1“ zu stellen, wurde sie von ihrem Vorhaben durch das plötzliche Schrillen des Telefons unterbrochen. „Wer kann das denn um diese Uhrzeit sein?“, murmelte sie und hob den Hörer an ihr Ohr. „Spreche ich mit Fräu…Frau Emmerich?“, tönte eine heisere Männerstimme abermals aus dem Apparat. „Ja also, ich weiß es ist ein bisschen spät, aber…aber ich habe mich mit der Organisation ganz vertan. Der Großauftrag, der war ja erst für nächsten Monat geplant.“ Elli brauchte einen Moment, um das Gesagte zu verarbeiten. „Soll das etwa heißen, ich bekomme doch frei?“, fragte sie etwas misstrauisch. „Natürlich Frau Emmerich“, sagte Herr Schwaiger, „ Einem jungen Glück darf man doch nicht im Weg stehen! Na dann viel Spaß in…Wohin geht es gleich nochmal?“, fragte er. „Italien“, half Elli ihrem alten Chef auf die Sprünge. „Vielen Dank und einen schönen Abend.“ Erich, der die ganze Zeit das Telefongespräch über seine Zeitung hinweg mit angehört hatte, sprang aus seinem Sessel. „Na dann kann ich ja jetzt doch den großen Koffer holen gehen“, sagte er begeistert und machte sich auf den Weg in den Keller.

Zurück in das Jahr 2018

„…Und so waren unsere Flitterwochen in Rimini doch noch gerettet“, beendete Oma Elli ihre Geschichte. „Eine wirklich schöne Geschichte, Oma Elli, aber sag mal, hattest du gar keine Bedenken wegen der UV-Strahlen? Diese Quellux-Sonnen entsprachen doch niemals den heutigen Anforderungen der UV-Schutz-Verordnung?“, fragte Alex ihre Großmutter. Tatsächlich werden Quarzlampen, ähnlich wie die der Höhensonnen, auch heute noch in Solarien verwendet. Allerdings dürfen diese heutzutage nur von Erwachsenen ab 18 Jahren und nach vorheriger Aufklärung durch geschultes Personal benutzt werden. „Naja, es kam schon mal vor, dass ich mich ein bisschen verbrannt habe, vor allem meine Nase war gefährdet, wenn ich zu lange vor der Sonne saß“, gab Elli zu. „Zum Glück sind diese Höhensonnen aus der Mode gekommen“, warf Opa Erich ein. „Nicht nur, wegen der UV-Strahlung, auch wegen dem Geruch nach Ozon – der war nämlich ziemlich penetrant.“

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