Der Liebestrank

Die junge Bäuerin Margarete träumt bereits ihr ganzes Leben von der wahren Liebe. Sie arbeitet hart, seit sie den Familienhandel ihres verstorbenen Vaters übernehmen musste. Die junge Frau verkauft Kartoffeln in Hamburg gegenüber des Kaffeehauses „Zum schwarzen Gold“.

Ein Beitrag von Isabell Brenner

Jedes Mal, wenn sich die Türen des Hauses öffnen und die Gäste ein- oder austreten, genießt Margarete den Duft des frisch gemahlenen Kaffees, der zu ihr zieht. „Himmlisch!“, flüstert die Bäuerin mit geschlossenen Augen und atmet das Kaffeearoma tief ein.

„Ich würde so gerne wissen, wie Kaffee schmeckt, denn er riecht wie eine Komposition des Himmels“, denkt sich die Kartoffelbäuerin und schaut verträumt durch die Fensterscheiben des Kaffeehauses. Es ist noch edler eingerichtet, als die Vorstellungskraft zulässt. Die Massivholztische und -stühle sind mit Schnitzereien verziert und die aufwendig gearbeiteten Schnörksel sind mit einer Vergoldung hervorgehoben. Passend zu der Einrichtung tragen die Damen prunkvolle Kleider und die Herren rauchen kubanischen Zigarren. Die Menschen amüsieren sich und genießen den guatemalischen Kaffee. Seitdem der Kaffeeexport im Jahre 1895 eine weltmarktrelevante Größenordnung erreicht hatte, baut Hamburg eine intensive Handelsverbindung zu Guatemala auf und ist somit der Hauptabnehmer der Kaffeebohnen.

Einladung zum Kaffee

Während Margarete das Kaffeehaus bestaunt, sieht sie diesen gutaussehenden Mann mit schwarzem lockigen Haar herausgehen. Er nimmt Kurs auf ihren Stand. Plötzlich beginnt ihr Herz zu rasen und ihre Handflächen werden feucht. „Margarete, jetzt reiß dich zusammen“, denkt sich die junge Frau. Sie sieht ihn jeden Tag und hat sich Hals über Kopf in den großen Mann mit den waldmeistergrünen Augen verguckt. „Guten Tag“, sagt der attraktive Mann. Seine Stimme lässt Margarete leicht erröten und sie stammelt mit gesenktem Blick: „Guten Tag, mein Herr, was kann ich für Sie tun?“ „Ich bin August und sehe Sie jeden Tag das Kaffeehaus beobachten. Ich frage mich, ob Sie mir die Ehre erweisen und einen Kaffee mit mir trinken“, fragt der Mann ihrer Träume sie. Die Bäuerin schaut auf und strahlt über beide Ohren. „Ich möchte Sie unbedingt kennenlernen. Ich sehe Sie Tag für Tag und kann meine Augen nicht von Ihnen abwenden“, sagt August mit ausgestreckter Hand. „Ich heiße Margarete und würde sehr gerne einen Kaffee mit Ihnen trinken“, antwortet sie plötzlich ganz selbstbewusst. Die junge Frau vergisst alles um sich herum und verlässt ihren Kartoffelstand mit dem begehrenswerten August.

Ausgebautes oberstelliges Mahlwerk einer Kaffeemühle. Foto: Detgard Schmidt

Wie ein Gentleman hält er ihr die Tür auf und sie geht hinein. Der Geruch überwältigt sie. Er ist so intensiv, dass sie von einem leichten Schwindelgefühl übermannt wird. „Margarete, komm hinter den Tresen zu mir“, ruft August. Er ist der Besitzer des Kaffeehauses, was der jungen Frau erst in diesem Moment bewusst wird. „Dieses Kaffeehaus ist meine Leidenschaft. Ich möchte dir zeigen, wie aus der Bohne das schwarze Getränk wird“, erklärt er und zeigt begeistert auf die importierten Bohnen. Margarete ist immer noch erschlagen von den vielen neuen Eindrücken, fühlt sich aber geschmeichelt, dass August ihr alles zeigen möchte. Auf dem Tresen ist die Peugeot Kaffeemühle A4 befestigt. Die genaue Modellbezeichnung ist deutlich auf dem Sockel lesbar. Sie erstrahlt in einer tannengrünen Lackierung und der Deckel des Trichters ist aus Messing. An der Mühle entdeckt Margarete ein großes Kurbelrad mit einem hölzernen Griff. Der Durchmesser des Rades gleicht der Länge ihres Unterarms.

„Das ist eine spezielle Kaffeemühle aus Frankreich. Sie wird für Kolonialwarenläden, Tante-Emma-Läden und Kaffeehäuser hergestellt“, erklärt der stolze Besitzer der Mühle. „Das Fassungsvermögen des Trichters liegt bei einem Kilogramm Kaffeebohnen, was eine sehr große Menge gemahlenen Kaffee ergibt, denn für eine Tasse Kaffee benötigt man nur einen gehäuften Teelöffel des schwarz-braunen Pulvers“, fachsimpelt August weiter. „Ich mahle uns die Bohnen frisch, schau hin“, dabei schüttet er die Bohnen in den Trichter.

Er nimmt Margaretes Hand und führt sie zu dem Griff am Kurbelrad. Er schaut ihr dabei tief in die Augen und sie drehen gemeinsam am Rad. Die Umdrehungen bringen die Welle in Bewegung, welche das kegelförmige Herz der Mühle antreibt. Es ist zu hören, wie das Herz, also das Mahlwerk, arbeitet. Die Bohnen knacken anfangs sehr laut, da sie zuerst grob gebrochen werden. Umso leiser das Brechen der Bohnen wird, desto feiner ist der Kaffee bereits gemahlen. August stoppt das gemeinsame Mahlen.
„Zieh die Schublade auf und genieße den Duft“, flüstert er in Margaretes Ohr.

Oui, Madame

Auf Margaretes Stirn haben sich Schweißtropfen gebildet, da es körperlich anstrengend ist, die Mühle zu betätigen. Aber auch die körperliche Nähe zu August hat die junge Frau erhitzt. Sie zieht die dunkle, hölzerne Schublade auf und beugt sich nach unten, um den Duft vollständig aufzunehmen. Sie schließt dabei ihre Augen und sagt: „August, du hast den schönsten Beruf der Welt!“
„Oui, Madame! Ich freue mich, dass dich Kaffee genauso begeistert wie mich“, antwortet der Kaffeehausbesitzer. „Du sprichst französisch“, fragt Margarete verwundert. „Ja, sogar fließend. Diese Kaffeemühle ist von meinen langjährigen Freunden Jean Pierre und Jean Frédéric Peugeot gefertigt worden und war ein Geschenk zur Eröffnung meines Geschäfts“, erklärt August seiner Angebeteten. „So, jetzt genug erklärt und gezeigt, meine Liebe, wir brühen jetzt unseren selbstgemahlenen Kaffee auf und du erzählst mir alles über dich!“

Peugeot Kaffeemühle A4 aus dem Archiv der TH-Nürnberg. Foto: Isabell Brenner

Die Zwei setzen sich mit ihren Kaffeetassen an einen der hölzernen Tische und werfen sich verliebte Blicke zu. Margarete greift ihre Tasse mit dem Heißgetränk, führt sie zu ihrem Mund und schaut August dabei tief in die Augen. Sie nimmt ihren ersten Schluck Kaffee. Die junge Frau schmeckt neben einem leicht bitteren Abgang eine Zitrusnote und im Nachgeschmack noch die Note dunkler Schokolade. Es ist eine Explosion ihrer Geschmacksnerven, da in Kaffee über 800 Aromen enthalten sind, was ihn zum aromatischsten Naturprodukt überhaupt macht.
„Ich bin überwältigt! Der Geschmack ist noch viel besser als der Geruch“, sagt sie begeistert. August lehnt sich über den Tisch und küsst seine Margarete.

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