„Er war mit seinen Maschinen verheiratet.“

Über 40 Jahre lang führte Gunda Herrmann eine Ehe mit einem Mühlenschleifer. Ein Beruf, der viel Hingabe und Zeit erfordert, was nicht immer leicht war für das gemeinsame Leben. In Schnaittach im Nürnberger Land betrieben sie eine Mühlenwerkstatt, die Herrmann auch 15 Jahre nach dem Tod ihres Mannes noch mit unzähligen Erinnerungen verknüpft. Ein Kurzporträt.

Das Sonnenlicht scheint auf einen Holzkohleofen, auf dem in einem gusseisernen Teekessel Wasser kocht. In der Mitte des Raumes steht ein Holztisch mit drei Stühlen. Seit dem Tod ihres Mannes Michael im Jahr 2004 lebt Gunda Herrmann alleine. Neben ihrem Haus steht die ehemalige Mühlenwerkstatt. Jedes Mal, wenn sie diese betritt, werden die Erinnerungen wach.

Die Arbeitstage waren lang

„Sein ganzes Leben hat er der Werkstatt gewidmet“, erzählt Gunda Herrmann, während ihr Blick durch den Raum schweift. Mittlerweile gleicht die ehemalige Werkstatt einer Abstellkammer, Brennholz lagert neben Kartons voller nicht länger benötigten Utensilien. Früher war das anders. Insgesamt hatten sie drei Maschinen, mit deren Hilfe sie Mühlenwalzen schleifen und riffeln konnten. Dieser Schleifprozess konnte Stunden in Anspruch nehmen, währenddessen ihr Mann die Maschinen keine Sekunde aus den Augen ließ. „Falls die Maschinen unerwartet anhielten oder es andere Probleme gab, musste er immer zur Stelle sein“, sagt Herrmann. Ihr Mann war immer früh auf den Beinen und blieb bis spät abends in der Werkstatt. An manchen Tagen, erzählt sie mit einem Lächeln auf den Lippen, ging er bereits um vier Uhr morgens an die Arbeit. „Er war mit seinen Maschinen verheiratet.“ Nur zwei Tage, nachdem Gunda und Michael geheiratet hatten, war er bereits wieder auf Montage. Flitterwochen gab es keine.

Heute ähnelt die Werkstatt eher einer Abstellkammer. Foto: Philipp Ebnet

Die Werkstatt wurde 1895 gegründet. Michael Herrmann, der dort bereits während seiner Jugend das Handwerk des Mühlenschleifers erlernte, übernahm sie 1970 von seinem Vater Fritz. Auch außerhalb der Werkstatt fand ihr Mann Arbeit. Er machte oft Hausbesuche in den Mühlen der Umgebung, half, Maschinen vor Ort zu reparieren, baute Wasserräder oder ging auf Kundenfang. Bis ins Vogtland führten ihn die Aufträge, für Gunda, wie sie sagt, „das Ende der Welt“. Sie selbst arbeitete zu Beginn der Ehe drei Tage die Woche bei einem Elektronikhersteller in Lauf im Versand. Dann erkrankte sie an Krebs, verbrachte nach einer Operation sechs Wochen im Krankenhaus. „Das war länger als geplant“, führt sie aus. „Nach elf Jahren habe ich zum Dank die Kündigung erhalten.“ Sie habe sich damals nicht getraut, um ihren Arbeitsplatz zu kämpfen; stattdessen kümmerte sie sich vermehrt um den Haushalt und half ihrem Mann.

Das Leben war nicht immer leicht

Familie Herrmann musste mehrere Schicksalsschläge über sich ergehen lassen. Gundas Schwager Paul war bei der Feuerwehr tätig. Bei einem Einsatz 1966 verfing sich seine Uniform und er erdrosselte sich. „Das war eine sehr schwere Zeit für uns“, sagt die 83-Jährige. Ein anderes Mal lud eine befreundete Familie sie zum Essen ein, sie sagten jedoch aus zeitlichen Gründen ab. „Glück im Unglück“, erklärt sie. Die Freunde hatten Pilze zum Abendessen serviert, starben wenige Tage später an einer Vergiftung. Auch bei einem Autounfall kam sie glimpflich davon. Wäre der Zusammenstoß nur geringfügig anders verlaufen, hätte sie ihre Beine verloren. „Wir hatten wirklich einen fleißigen Schutzengel!“

Die Schleifmaschine steht längst still. Foto: Philipp Ebnet

Seit dem Tod ihres Mannes im Jahr 2004 ist die Werkstatt ungenutzt. Sie selbst konnte die Arbeit alleine nicht stemmen und Kinder hat sie nie bekommen. Auch andere Anwärter gab es keine. „Kleine Handwerksbetriebe haben es heutzutage schwer“, erklärt sie. Sie habe selbst erlebt, wie Bäcker und Metzgereien in Schnaittach schließen mussten. Sie erhält immer wieder Anfragen von Heimat- oder Industriemuseen, ob sie die Maschinen denn nicht spenden oder verkaufen wolle. Zugesagt hat sie bisher niemandem. Was nach ihrem Tod mit der Werkstatt passiert? „Nach mir die Sintflut“, sagt sie und lacht. Noch will sie die Maschinen allerdings nicht hergeben. Dafür ist die Werkstatt mit zu vielen Erinnerungen verknüpft. „Wenn ich darin stehe, denke ich, mein Mann ist hier.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert