Harmonische Wellen

Vor etwa 2500 Jahren soll Pythagoras bereits die Grundlagen der Musiktheorie erforscht haben, indem er den Zusammenhang zwischen Frequenzen und wohlklingenden Harmonien untersucht hat. Für ihn stand damals schon fest: Es besteht eine Verbindung zwischen Musik und Zahl.

Erwartungsvoll steht die 30-jährige Musikerin Lisa Gümpelein in der historischen Altstadt von Kirchberg an der Jagst vor der Werkstatt der Geigenbauerin Claudia Ulrich. Hier hat sie vor einigen Wochen ihre Violine für einen Saitenwechsel und den Bogen zum neuen Bespannen abgegeben. Claudia Ulrich bittet die Musikerin herein und führt sie in ihre Werkstatt. Vorsichtig holt sie die Violine noch einmal aus dem Koffer und schlägt zur Kontrolle die A-Saite mit einer kleinen Stimmgabel an. Ein seltsames Tonkonstrukt aus lauter und leiser werdenden Klängen erschallt.

Schwebende Klänge

„Wenn zwei Schallwellen mit ähnlichen oder gleichen Wellenlängen und Auslenkungen aufeinandertreffen, jedoch leicht verschiedene Frequenzen haben, kommt es zu einer Interferenz mit Schwebung. Die Überlagerung von zwei derartigen Wellen führt zu einer periodisch zu- und abnehmenden Amplitude“, erklärt Stefanie Freund, Maschinenbaustudentin im vierten Semester. Die ständige Zu- und Abnahme der Amplituden kann sich beispielweise in dem beschriebenen Tonkonstrukt bemerkbar machen.

Lisa Gümpelein packt ihre Geige wieder in den Koffer. „Und wie kommen Sie mit dem Cello voran?“, fragt Claudia Ulrich. Beim letzten Besuch hat die 30-Jährige sich ein Cello geliehen, ein Service, den die Geigenbauerin ihren Kunden anbietet, um sich zuerst mit ihren Instrumenten vertraut machen zu können. Sie ist zuversichtlich. „Ich habe mittlerweile eine gute Lehrerin gefunden und bin sehr zufrieden mit ihr.“

Obertöne und Intervalle aus der Musik. Skizze: Anja Christ

Das Flageolett

Die Musikerin berührt nur leicht mit einem Finger die Saite des Cellos und beginnt zu streichen. Unerwartet lässt das Instrument einen hohen Ton verlauten. „Das ist eine Hilfe beim Stimmen und nennt sich Flageolett. Den Ton, der hier herauskommt, kann ich mit dem Grundton einer leeren Saite vergleichen und diese damit noch nachstimmen. Außerdem ist das Flageolett für schwierige Stücke in hohen Lagen praktisch, weil es sich einfacher spielen lässt als ein fester Griff“, sagt sie.

Doch wie lässt sich das Phänomen des Flageoletts nun physikalisch beschreiben? Stefanie Freund klärt auf: „Zunächst ist es wichtig, zu wissen, dass eine Saite wie eine eingespannte Welle reagieren kann. Wenn die Saite nun zu Schwingungen angeregt wird und die Welle auf die Einspannpunkte trifft, entstehen sogenannte Oberschwingungen mit Schwingungsknoten.“

 

In der Musik entsprechen die Oberschwingungen einer Saite den sogenannten Harmonischen. Daraus folgt, dass die Grundschwingung sich in die Musik als Tonika, also die Anregung der Leersaite mit dem Grundton, übertragen lässt. Beim Stimmen mithilfe des Flageoletts wird der Finger auf einem Schwingungsknoten der Welle platziert und es kann bereits bei leicht schiefem Ton der zu vergleichenden Saite eine deutliche Interferenz mit Schwebung wahrgenommen werden.

Lisa Gümpelein (links) mit ihrer Cousine bei einer Jamsession. Foto: Anja Christ

Konstruktiv Destruktiv

Seit ihrem achten Lebensjahr spielt Lisa Gümpelein Violine und hat schon in verschiedenen Orchestern mitgewirkt. Privat trifft sie sich gelegentlich mit ihrer Cousine für die sogenannten „Jamsessions“, bei denen eine Vielfalt an Instrumenten angespielt wird, welche sie neben der Violine sonst beherrscht. Um ihrer Leidenschaft mehr und regelmäßiger nachzugehen, ist sie Mitglied der Band The Leftovers. Manchmal gibt es bei Auftritten jedoch Probleme. „Ab und zu kommt es leider vor, dass bei bestimmten Liedern manche Instrumente völlig untergehen und im nächsten Song ist plötzlich alles wie verstellt, zu laut und es passt nichts mehr so wirklich.“

Stefanie Freund beschreibt das Phänomen, auf das sie in der Physik schon gestoßen ist. „Jeder Verstärker, der bei einem Konzert aufgestellt ist, kann als Quelle von Kugelwellen angenommen werden. Die ausgesendeten Schallwellen können sich dann auf verschiedene Arten überlagern. Wo und wann Töne lauter oder leiser werden, hängt davon ab, wie weit die Lautsprecher voneinander entfernt stehen und mit welcher Frequenz sie die Wellen aussenden. Je nach Ort, an dem man sich befindet, kann konstruktive oder destruktive Interferenz herrschen.“

Bei der Überlagerung von Wellen werden die Auslenkungen zu bestimmten Zeitpunkten nach dem Superpositionsprinzip aufaddiert. Treffen zwei Wellenberge oder zwei Wellentäler aufeinander, summieren sich diese auf und die Amplitude oder Lautstärke verdoppelt sich, was als konstruktive Interferenz bezeichnet wird. Wenn jedoch ein Berg der einen Welle auf ein Tal der anderen Welle stößt, löschen sich diese gegenseitig aus, wofür der Begriff der destruktiven Interferenz steht.

Es kann nur spekuliert werden, ob Pythagoras damals schon erahnen konnte, wie eng die Verbindung zwischen Physik und Musik tatsächlich ist. Heute weiß man jedoch mit Sicherheit: Das Phänomen von musikalischen Interferenzen liegt einer simplen Mathematik zugrunde.

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