Wie die historischen Felsengänge Geschichte(n) erzählen

Es ist warm und sonnig. Touristen flanieren auf den Bürgersteigen und bleiben vor Schaufenstern stehen, um deren Inhalt zu begutachten. Eine Schulklasse läuft an den Touristen vorbei in Richtung Burg.

Ein Beitrag von Erwin Rosert

Die Jugendlichen unterhalten sich angeregt. Es ist ein schöner Frühlingstag in der Nürnberger Altstadt. Tourguide Achim Burek steht mit einem Grüppchen vor dem Bunkereingang. Der Rentner erzählt gestikulierend vom Krieg und dem Bombenhagel auf Nürnberg.

Achim Burek erzählt von Bomben und Bier Foto: Erwin Rosert

Warum man den Bunkereingang auf einem Platz gebaut hat? „Der Eingang war weit genug von den Häusern entfernt, um nicht verschüttet zu werden. Und im Falle eines direkten Bombentreffers hätte der verwinkelte Betongang hinter der Stahltür die Druckwelle abgeschwächt“, sagt Burek. Die Gruppe geht die Treppen hinunter, passiert Stahltür und Gasschleuse und steht vor einer beleuchteten Infotafel. Sie zeigt Fotos der in Schutt und Asche liegenden Altstadt. Es ist deutlich kälter als an der Oberfläche. Die Luft ist abgestanden und feucht. „Das Bier hat uns das Leben gerettet“, zitiert der Touristenführer Zeitzeugen, die in den zu Bunkern umfunktionierten historischen Bierkellern überlebt haben. Die 25.000 Quadratmeter Keller waren ausgelegt für 20.000 Menschen; während der Luftalarme befanden sich jedoch bis zu 60.000 Personen hier. Burek stellt sich nah neben eine ältere Dame aus der Gruppe, um zu verdeutlichen, wie eng es hier gewesen sein muss. „Auf weniger als einem Quadratmeter mussten die Leute hier ausharren.“ Es geht weiter durch einen schmalen, 1,70 Meter hohen und 68 Meter langen Gang  in die nächste Sohle.

„Eine Spannende Geschichte bleibt hängen“

Im Laufe der Führung geht es immer tiefer in den Fels. Wann immer er kann, erzählt Burek Anekdoten über Nürnberg und antwortet mit ausführlichen Geschichten auf die Fragen der Besucher. Er führt seine Gruppe in ein weiteres unterirdisches Gewölbe. Die Luft wird feuchter. Das einzige Licht kommt von der indirekten Beleuchtung an den Sandsteinsäulen und der Taschenlampe des Guides. Es wimmelt vor dunklen Ecken und verwinkelten Gängen. Wenn Achim Burek merkt, dass die Leute das Interesse verlieren, lockert er den Vortrag durch einen Witz oder eine Anekdote auf. „Kaum einer merkt sich nackte Zahlen, aber eine spannende Geschichte bleibt hängen.“ Und so erzählt er. Von dem Mann, der die Bierfässer einlagern musste. Von den Männern, die das Eis zu den Bierkellern gebracht haben. Und von Carl Linde, der die ersten Kühlmaschinen entwickelt hat.

Ecken und Winkel im Nürnberger Untergrund Foto: Erwin Rosert

Stories müssen erarbeitet werden

Der 74-Jährige ist vor zwölf Jahren aus dem Osnabrücker Land nach Nürnberg gekommen und war fasziniert von der geschichtsträchtigen Altstadt. Er hat angefangen, viel über die Stadt und ihre Geschichte zu lesen und hat sich vor fünf Jahren dem Förderverein Nürnberger Felsengänge angeschlossen. Er und rund 80 ehrenamtliche Tourguides sorgen dafür, dass die Geschichten des Nürnberger Untergrunds am Leben bleiben.

Der 1994 gegründete Verein trägt mit Historikern alle Informationen rund um die in den Felsen geschlagenen Gänge zusammen, oft mithilfe des Stadtarchivs, Büchern oder Berichten. Das Ergebnis sind Informationstafeln und Führungen, zugeschnitten auf Groß und Klein.

Karte der Bierkeller und Verbindungsstollen Foto: Erwin Rosert

Achim Burek, selbst Großvater, erzählt von Kinderführungen in die Felsengänge. Seine Augen fangen an zu leuchten und er lacht. Man kann sich gut vorstellen, wie eine Gruppe Kinder ihn mit großen Augen ansieht, während er mit großväterlicher Stimme die Geschichten und Legenden der Keller erzählt.

Aus der Geschichte lernen

Die Welt ist noch in Ordnung. Foto: Erwin Rosert

Die Besucher verlassen den Keller und werden von gleißendem Sonnenlicht begrüßt. Im Gegensatz zur Kriegsgeneration finden sie die Stadt so vor, wie sie war, bevor sie die Felsengänge betreten haben. Ralf Arnold, Vorsitzender des Fördervereins Nürnberger Felsengänge fügt hinzu: „Es ist wichtig, das Bewusstsein aufrecht zu erhalten, dass Krieg und Zerstörung das Schlimmste und Verheerendste ist, was einer Region passieren kann. Wir wollen diese Erinnerung wachhalten.“

 

Website des Fördervereins Nürnberger Felsengänge.

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