Kiew – Mutter aller russischen Städte.

Während sich die Kriegssituation in der östlichen Ukraine immer mehr zuspitzt, geht es der ukrainischen Hauptstadt – zumindest aus touristischer Sicht – gut. Im Gegensatz zu vielen anderen Großstädten auf dem post-sowjetischen Gebiet ist es hier sauber.

Ein Beitrag von Elen Brauer-Martynov

Die Menschen sind freundlich und allgemein ist die Innenstadt europäisch assimiliert. „Nach der UEFA EURO 2012 hat unsere Stadt ein ordentliches Aussehen und europäisches Ansehen erlangt“, erzählt A. Ogorodnii, ein viel reisender Hauptstadtbewohner. „Die Schweden, die haben sich hier prächtig mit unseren hübschen Frauen amüsiert“, sagt der Fußballfan zwinkernd.

Europäisch assimiliert

Das modernisierte Kiewer Kotelett – europäisch minimalistisch.  Die deftige Leibspeise der Ukrainer, die natürlich nur mit einem Shot Gorilka kombiniert werden kann. Foto: Brauer-Martynov

Es gibt viele Läden mit teuren Luxus-Marken und Franchise-Unternehmen aus aller Welt. Aber in vielen ist der kulturelle Touch erkennbar, beispielsweise in den typischen Mustern und Farben der traditionellen Kleidung Wyshiwanka oder in der Deftigkeit der Gerichte und dem dazu gehörenden dem Selbstgebrannten. Die Ukrainer sind stolz auf ihre Produktion. Patriotismus ist vor allem in der verstärkten Verwendung der ukrainischen Sprache zu spüren. Dies suggeriere jedoch keine Diskriminierung gegenüber den Russisch-Sprechenden, sondern sei eher eine Art Unabhängigkeitsgeste.

Borschtsch Cayenne

Restaurants sind  nach gehobenen europäischen Standards gestaltet. In einem renommierten Lokal in Kiewer Nobelviertel Wozdwizhenka – das auch sarkastisch von den Einwohnern als Schlafplatz der Millionäre bezeichnet wird – wächst echtes, frisch gemähtes Gras auf der Toilette. Im Menü wird die traditionelle Suppe Borschtsch in Anspielung auf den Luxuswagen als Borschtsch Cayenne angeboten. „Schmeckt nicht überragend, wirkt aber sehr luxuriös durch die reingestreuten Goldpartikel“,  erzählt Ogorodnii. Zudem gibt es gefüllte Teigtaschen, gefärbt in den Fahnenfarben des Landes, blau und gelb.

Historische Architektur versus Moderne

Die altertümliche Sophienkathedrale zeugt von der langjährigen Kultur der 2000 Jahre alten Stadt. Foto: Brauer-Martynov

Allgegenwärtige, wunderschöne Architektur der altertümlichen Klöster verstärkt die langjährige kulturelle Entwicklung und historische Bedeutung der Stadt, die oft den Beinamen „Mutter aller russischen Städte“ trägt. Es gibt unzählige riesigen Einkaufszentren, die kaum den arabischen Vorbildern nachstehen. Alles ist hier integriert, von Spielhallen und Bowlingcentern bis hin zu Schwimmbädern und Kinosälen. Für den Zutritt zu manchen Etablissements im Untergrund muss ein Passwort genannt werden. In Kiew kommt jeder auf seine Kosten. Auch wenn die Dienstleistungen und Angebote relativ günstig erscheinen, gelingt es schnell, viel Geld in alle Richtungen zu verprassen. In über 25 Einkaufszentren mit insgesamt 1 242 090 Quadratmeter Shoppingfläche können die 2,8 Millionen Einwohner einkaufen, hinzu kommen noch die Einzel- und Lebensmittelhändler. Über 200 spezialisierte Karaoke-Bars unterhalten nachts die spaßsuchende Klientel und das meistens bis sechs Uhr in der Früh. „Wenn Kiew noch nicht schlafen gegangen ist, sind die meisten Deutschen schon längst zur Arbeit unterwegs.“

Ob Jung, ob Alt – für jeden ist was dabei

Das riesige Einkaufszentrum Gulliver inkludiert einen Bowlingcenter: Es ist ein Sammelpunkt für die Ukrainer und Touristen. Foto: Brauer-Martynov

„Diese Stadt ist nicht für ihre Einwohner gemacht – sie ist für Touristen“, behauptet der 35-jährige Kiewer. Ähnlich wie in allen EX-UdSSR-Staaten fließe auch in der Ukraine das ganze Geld des Landes und der ausländischen Investoren in die Hauptstadt und erzeuge eine gelungene Illusion des Wohlstands. „Wenn alle Städte und Gemeinden so wie unsere Klitschko-geführte Hauptstadt wären, wären wir schon längst in der EU integriert“, sagt Ogorodnii.

Egal wo man hinschaut, findet man etwas Neues, um sich göttlich zu verwöhnen. „Dies ist auch der Grund dafür, dass man als junger Kiewer für seine zwei Luxus-Tage im Monat sich die restlichen 28 mit Äpfeln und Wasser versorgt“, sagt der professionelle Partymacher, wie Ogorodnii sich selbst kokett bezeichnet. „Unsere Kultur und Gewohnheiten für Großes und Luxus sind nicht vereinbar mit unseren Einkommen und Landessituation. Du verstehst, was ich meine?“

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