Konzerte in Zeiten von Corona

Ein Konzert ohne Publikum im Saal war vor Beginn der Corona-Pandemie undenkbar. Seit dem ersten Lockdown bieten sogenannte „Online-Konzerte“ Künstlerinnen und Künstlern die einzige Möglichkeit, ihre Musik mit ihren Fans live zu teilen.

Es ist Mitte Oktober 2020: Lena Haslberger, 22, zweite Stimme und Gitarristin der Münchner Pop Band „SweetLemon“, bereitet sich zusammen mit ihren Bandkollegen auf den Auftritt vor. Ihre Schwester, Sophia Haslberger, auch 22, ist ebenfalls Teil der Band. Sie singt erste Stimme und spielt Klavier. „So stelle ich mir eine Aufnahme fürs Fernsehen vor – bis jetzt hatten wir noch keine“, sagt Lena Haslberger und lacht. Sie spricht von den Kameras, die auf die Band gerichtet sind. Bereit für die Live-Übertragung. Bis zum Zeitpunkt der Ausstrahlung läuft alles genauso ab, wie bei einem normalen Livekonzert vor Corona-Zeiten. „SweetLemon“ laden Instrumente und Technik in ihr Auto ein und sammeln unterwegs ihren Schlagzeuger ein. Am Veranstaltungsort folgen der Aufbau der Instrumente sowie der Soundcheck. Lena Haslberger und der zweite Gitarrist Simon Deluigi stimmen ihre Gitarren. Das Outfit sitzt, es kann losgehen.

Nostalgie an Livekonzerte vor Corona

Normalerweise, wie etwa am Anfang des Jahres in der Muffathalle, wären die Gitarristin und ihre Bandkollegen jetzt noch im Backstage-Bereich. Sie würden aufgeregt und voller Vorfreude kurz auf die Bühne spicken, um nachzusehen, wie viele Fans schon da sind. Freunde von Lena Haslberger würden anrufen und ihr mitteilen, dass sie in der Schlange stehen und hoffen noch rechtzeitig eingelassen zu werden. Es gäbe sicherlich noch die eine oder andere Sache zu organisieren, ein Backstage-Bändchen für den Fotografen vielleicht, damit er die Momente des Abends besser einfangen kann. Eine Stimme aus dem Off würde ertönen: „Jetzt geht’s los!“ Die Band würde die Bühne betreten. Es wäre laut und stickig. Der Raum wäre von Biergeruch, Zigarettenrauch und einer ausgelassenen, mitreißenden Stimmung erfüllt.

SweetLemon im Gasteig für Digital Analog im Oktober 2020.
Foto: Digitalanalog 2020 ©Heilig

Der aktuelle Auftritt im Gasteig für das Online-Festival „Digital Analog 2020“ läuft jedoch ganz anders ab. Keines der Bandmitglieder ist nervös. Das tuschelnde, feiernde Publikum ist einem stillen Beobachter gewichen: der Kamera. „So eine Kamera hat überhaupt keinen Charme“, sagt Lena. Statt Applaus, Zwischenrufen und Kreischen hört die Band nach dem Spielen eines Songs verhaltenes Klatschen von Kameraleuten, Ton-Technikern und Sanitätern. Auftritte an einem Veranstaltungsort sind nur möglich, wenn alle die Corona-Maßnahmen streng einhalten. Es besteht eine Maskenpflicht. Sie müssen den Mindestabstand von 1,5 Metern einhalten und es sind so wenige Menschen vor Ort wie möglich. „Das Publikum ist der schönste Teil bei einem Auftritt, das fehlt uns am meisten“, sagt Lena.

Das Internet – der Retter in der Not

Nicht nur Newcomer-Bands sondern auch bereits etablierte Künstler, wie etwa die US-amerikanische Sängerin Billie Eilish, nutzen die zahlreichen Live-Stream-Angebote, um ihr Publikum in Corona-Zeiten zu erreichen. Neben den Möglichkeiten über Soziale Medien, wie etwa Instagram-Live, gibt es auch Kooperationen mit Veranstaltern, die Corona sehr stark getroffen hat. Neben der Variante für diese Konzerte einen festen Ticketpreis zu zahlen, gibt es auch die Möglichkeit, Künstler und Veranstalter mit Spenden zu unterstützen oder ihre Alben und Fanartikel zu kaufen.

Ein gemeinsamer Freund half den beiden Schwestern im Sommer bei ihrem digitalen Wohnzimmerkonzert in Sophie Haslbergers Wohnung mit der Technik. Genauer, mit dem Mischen des Sounds, was normalerweise die Ton-Techniker mit Hilfe einer großen Anlage übernehmen. Über ein Mischpult speiste er die beiden Stimmen sowie Gitarre und Klavier einzeln in den Laptop ein, um jede Tonspur einzeln zu steuern. Wenn sich der Sound gut anhört, wird er direkt an beispielsweise Instagram-Live weitergeleitet. „Diese Art von Verantwortung ist neu für uns“, erklärt Sängerin Lena. „Wenn bei uns zuhause etwas schief läuft, ist das schon blöd, weil wir alleine in der Verantwortung stehen. Aber zum Glück hat bis jetzt immer alles geklappt.“

Online-Konzerte in heimischer Atmosphäre

Einblick in das digitale Wohnzimmerkonzert im Juni 2020.
Foto: SweetLemon

Natasha Kondrashova, 27, Studentin, und ihre zwei Mitbewohnerinnen schauen sich während des Lockdowns besonders DJ-Sets über das Videoportal „Twitch“ oder Facebook-Live und Akustik-Künstler wie Tom Rosenthal auf YouTube an. Der Ort des Geschehens ist die Küche statt ein Konzertsaal. Während des Online-Konzerts kochen, essen und tanzen die drei Frauen. Sie trinken Wein oder lauschen einfach entspannt der Musik. Ganz anders als bei einem herkömmlichen Livekonzert. Als die drei eines Abends zwar Lust auf Musik haben, aber zu müde zum Tanzen sind, schauen sie sich ein DJ-Set gemeinsam im Bett an. „Es war generell mal wieder schön, Freunden einen Zoom-Anruf abzusagen, weil man etwas Spannendes vorhat“, sagt Natasha freudig. Eine Alternative zu Livekonzerten stellen die Online-Konzerte für die Studentin jedoch nicht dar. „Aber Online-Konzerte bieten in diesen Zeiten immerhin eine Möglichkeit, den immer gleichen Tagesablauf aufzulockern, und dafür bin ich sehr dankbar.“

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