Online-Unterricht: ein Blick in die Zukunft

Elena Karpova ist Lehrerin an einer Privatschule. Auf die Corona-Pandemie reagiert sie sofort und stellt auf Online-Unterricht um. Dabei erfährt sie Vor- und Nachteile dieser Unterrichtsart und geht auf die erfolgreiche Vorbereitung des Unterrichts ein.

Ein Beitrag von Natasha Kondrashova

„Kann jeder von euch mit seinen beiden Händen acht Finger für mich hochhalten?“, ruft Mathelehrerin Elena Karpova in ihren Laptop, während sie sich auf ihren Wohnzimmerteppich stellt und an jeder Hand vier Finger ausstreckt. „Schaut alle her, Marie hat drei an einer Hand, aber wir haben trotzdem beide acht!“ So beginnt um 9:30 Uhr ihre erste Unterrichtsstunde des Tages, während ihr Morgenkaffee noch neben dem Laptop steht.

Nachdem Elena Karpova (63) ihre Karriere in der wissenschaftlichen Forschung beendet hat, arbeitet sie nun als Vollzeit-Tutorin und Nachhilfelehrerin. Seit über zehn Jahren unterrichtet sie Mathematik, Biologie, Chemie und russische Sprache für private Einzelschüler sowie für kleine Klassen an privaten außerschulischen Bildungseinrichtungen in verschiedenen Städten Englands. Als die Covid-19-Pandemie begann, fragten die Eltern der Schüler nach einer Fortsetzung des Unterrichts, so dass Karpova ihre Arbeit kurzerhand online übernahm.

Normalerweise benutzte sie ihr Auto, um zu jeder Privatstunde der privaten Einrichtungen, an denen sie unterrichtet, zu fahren. Aber Elena glaubt, dass die Fortsetzung dieser Arbeit online eine Veränderung zum Besseren war. „Als ältere Person schätze ich wirklich die zusätzliche Energie und Zeit, die ich jetzt bekomme, da ich nicht mehr bis zu vier Stunden am Tag mit dem Auto fahren muss“, erzählt die 63-Jährige. „Ganz zu schweigen von dem Geld, das ich an Benzin spare und wie glücklich es mich macht zu wissen, dass das Ganze so viel besser für das Klima ist.“

Umstieg auf den Online-Unterricht

Karpova während des Online-Unterrichts. Foto: Natasha Kondrashova

Karpovas Privatschule hat, wie so viele andere auch, sofort gehandelt und bereits im April damit begonnen, ihre Lehrer für die Entwicklung von Online-Unterricht vorzubereiten. Staatliche Schulen brauchten viel länger, um eine Strategie zu entwickeln. Viele Eltern, vor allem diejenigen, die von zu Hause aus arbeiten müssen, haben ungeduldig darauf gewartet.

„Sie würden nicht glauben, wie viele Dankesbriefe und gute Online-Bewertungen wir von Eltern erhalten haben, nachdem wir das Online-Programm unserer Schule während des ersten Lockdowns gestartet haben“, erzählt die Lehrerin. „Genauso wie Kinder ein Problem für Eltern sein können, die von zu Hause aus arbeiten, funktioniert es auch umgekehrt.“

Als Karpova beginnt, ihrer Klasse von Siebenjährigen das neue Thema der Bruchrechnung vorzustellen, ist im Hintergrund gleichzeitig die Stimme eines Vaters zu hören. Er versucht das Thema auf seine eigene Art zu erklären. „Die Eltern sind eines der größten Probleme beim Lernen von zu Hause aus“, erklärt Elena und beschreibt, wie manche die Kinder zusätzlich unter Druck setzen. Sie würden versuchen sich in den Unterricht einzumischen und unterbrechen manchmal die Stunde, indem sie die Lehrerin direkt ansprechen.

Vor- und Nachteile

Am Ende der Stunde fragt sie ihre Schüler, ob ihnen der Online-Unterricht Spaß macht. „Ich liebe es, weil ich neben meinem Bruder sitzen darf und wir jetzt zusammen im Unterricht sein können! Und in den Pausen können wir mit Mama und Papa spielen!“, sagt der siebenjährige Andrei, während sein Zwillingsbruder Pasha fragt, wann sie wieder mit ihren anderen Freunden spielen können.

Trotz ihrer Freude am Online-Unterricht glaubt Karpova, dass jüngere Kinder in einer Online-Lernwelt das Erlernen sozialer Fähigkeiten verpassen. „Ältere Kinder haben bereits gelernt, soziale Kontakte zu knüpfen, aber für kleine Kinder ist es sehr wichtig, dass sie reden, interagieren, streiten und spielen, damit sie das ganze Spektrum an sozialen Kontakten haben.“

Da ihre Tochter, die 23-jährige Studentin Olga, zurzeit auch digital an ihren Vorlesungen teilnimmt, genießt die Mutter eine ruhige Umgebung, um unten im Wohnzimmer zu arbeiten. Olga hat im Oktober ihr Studium im Rahmen eines Fernstudiums mit dem Titel „Master in nachhaltigen Ressourcen“ am Centre for Alternative Technology in Wales begonnen – einer Universität, die schon seit vielen Jahren Online-Kurse anbietet.

„Die Leute in diesem Kurs sind vielfältiger als die, mit denen ich während meines Bachelor-Studiums Vorlesungen hatte“, erklärt Olga. Menschen aus der ganzen Welt besuchen den Kurs, auch Menschen mit Kindern und Betreuungspflichten. „Da die Vorlesungen aufgezeichnet werden, kann man sich einklinken, wann immer es für einen passt. Traditionelle Universitäten sind nicht für Menschen geeignet, die sich nicht die Zeit nehmen können, einen konventionellen Kurs zu besuchen.“

In Ländern wie England, in denen die Hochschulbildung teuer und meist ohne einen Teilzeitjob unerschwinglich ist, nutzen Kurse wie der von Olga die Innovationen des Online-Unterrichts, um flexible Unterrichtszeiten zu schaffen. Die Möglichkeit, dass Universitäten ihren Unterricht online durchführen, bedeutet, dass jeder mit einem passenden Gerät und einer stabilen Internetverbindung von überall auf der Welt auf ihre Kurse zugreifen kann.

Vorbereitung ist Alles

Während Olga ihre Vorlesungen vom Bett aus anhört, glaubt ihre Mutter, dass sie ihre Arbeit ohne die richtige Ausrüstung, wie einen Büroraum und zwei Bildschirmen, nicht machen könnte. „Die Familien müssen die nötige Ausstattung haben, um am Unterricht teilnehmen zu können. Die Lehrer müssen über IT-Kenntnisse verfügen, die sie bisher noch nie gebraucht haben.“

Die private Online-Lehrindustrie hat diese notwendigen Technologien schon seit vielen Jahren entwickelt und einen Investitionsboom schon vor Beginn der Pandemie erlebt. Währenddessen haben die staatlichen Schulen in der Regel noch keine Anzeichen für eine aktive Entwicklung von Online-Lehrwerkzeugen und -Trainings gezeigt. Dennoch sagen viele Studien und Experten voraus, dass dem Online-Lernen die Zukunft gehört, insbesondere in der Hochschulbildung.

Als es draußen langsam dunkel wird, sitzt Karpova immer noch vor ihren beiden Bildschirmen und verabschiedet sich von den letzten Kindern, die fragen, wann sie sich alle wiedersehen werden. „Macht euch keine Sorgen, nächste Woche haben wir wieder Unterricht. Und jetzt sagen wir alle zusammen ‚bis bald‘. Eins, zwei, drei – wir sehen uns bald!“ Nach einem langen Tag Arbeit werden die Bildschirme der Lehrerin dunkel.

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