Reif für die Tonne

Im Jahr 2020 haben Privathaushalte rund sechs Prozent mehr Müll im Vergleich zum Vorjahr produziert. Das bestätigt der Bundesverband für Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE). In Krisenzeiten wie der aktuellen Covid-19 Pandemie, ist die Arbeit von Entsorgungs-Akteuren besonders wichtig.

457 Kilogramm privater Haushaltsabfall. Das ist die Menge Müll, die alle Bundesbürger pro Kopf laut des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2019 verursacht haben. Im Müllsektor der Verpackungen erwartet das Umweltbundesamt allerdings einen Corona-bedingten Anstieg für das Jahr 2020. Gründe für diese Annahme sind Schließungen im Handels- und Dienstleistungssektor während des bundesweiten Lockdowns und infolgedessen einen Zuwachs von Lieferbestellungen sowie eine intensivere Nutzung von Grünflächen. Auch André Winkel, Ingenieur und Pressesprecher des Nürnberger Servicebetriebs Öffentlicher Raum (SÖR), bestätigt diese Annahme: „Kürzlich habe ich Überreste am Pegnitztal-West einer Corona-Party an meiner üblichen Laufstrecke entdeckt. Bänke waren voll mit Plastikbechern und weiterem Verpackungsmüll. Das ist ein recht interessanter Trend und war schon beim ersten Lockdown Anfang des Jahres 2020 zu erkennen. Leider aber auch schon vorher. 2019 wurde in Nürnberger Grünanlagen eine Müllmenge von 6000 Kubikmeter verursacht. Das sind 700 Kubikmeter mehr als noch zwei Jahre zuvor.“ Das ist umgerechnet so viel wie das Volumen von circa 50 gefüllten Restmülltonnen.

Abfall rund um einen Mülleimer an der Wöhrder Wiese. Foto: André Winkel

Zur Problembewältigung hat sich die Stadt Nürnberg im Jahr 2018 der von den UN verabschiedeten Agenda 2030 verpflichtet, um frühzeitig potentielle Krisen für beispielsweise lokale Natursysteme erkennen und verhindern zu können. Das Abkommen strebt eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung mithilfe der Verfolgung von 17 strategischen Zielen an. Eines dieser Sustainable Development Goals, kurz SDG, setzt seinen Fokus auf eine Müllvermeidungsstrategie. Das Produzieren und Entsorgen von Müll ist ein ökologisches, ökonomisches und soziales Problem. Derzeit leiden die wenigen Grünflächen in Nürnberg besonders unter Verpackungsmüll. Was aber können Stadt, Verbraucher und Unternehmen zu einer Verbesserung im Müllsektor beitragen?

Folgen der Ausgangssperre

Nürnberg besitzt laut dem offiziellen Vegetationsindex, Stand 2020, eine Grünfläche von 47,9 Prozent und landet damit auf Platz 76 der 79 grünsten Großstädte Deutschlands. Von Kennern und Historikern wird sie Die steinerne Stadt genannt. Nürnberg ist nicht gerade sehr grün und in Zeiten von eingeschränkten Freizeitangeboten werden die wenigen Grünflächen der mittelfränkischen Metropole intensiver von vielen Menschen als üblich genutzt. Aber gerade deshalb will André Winkel die städtischen Grünflächen sauber halten: „Vor allem an den ersten warmen Tagen im Jahr zieht es die Menschen in die Parks. Die Wöhrder Wiese dient hier als Paradebeispiel. Dort sieht es teilweise aus wie nach einem Rockkonzert. Da können wir nur mit dem Kopf schütteln und uns wundern. Das Traurige ist, dass die Leute dort eigentlich hin gehen, weil es dort schön ist und es ihnen dort gefällt. Wir beobachten, dass der Müll seinen Weg in den Park findet, aber nicht mehr hinaus.“

Auch die Schließungen von Restaurants sorgen für ein erhöhtes Aufkommen von Verpackungsmüll. Wenn im Park der unerwartete Appetit einsetzt, aber kein lokaler Gastronom geöffnet hat, ist der Schritt hin zum Lieferdienst nicht mehr weit. Zwar existierte dieses Problem auch vorher, rückte aber zuletzt deutlicher in den Fokus, meint der Ingenieur und Pressesprecher: „Diese Pizzakartons haben uns vorher auch schon geärgert. Und während der Corona-Krise ist es dann wirklich steil nach oben gegangen.“

Das Problem mit dem Hausmüll

Haushalts- und Sperrmüll findet sich oft an Straßen. Foto: André Winkel

Weitere Hinweise, die einen Anstieg der Abfälle vermuten lassen, finden sich oftmals vor der eigenen Haustür.  Die überfüllten Restmüll- und Papiertonnen vor den Häusern zeigen, dass die Menschen viel im Internet ordern. Diesen Trend belegen unter anderem deutlich gestiegene Zahlen im E-Commerce Bereich, aufgrund der Schließungen im Einzelhandel während des Lockdowns. Im Oktober 2020 stieg die monatliche Umsatzentwicklung laut des Statistischen Bundesamtes im Versand- und Internet-Einzelhandel in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr um circa 30 Prozent.

Im Nürnberger Raum ist die Friedrich Hofmann Betriebsgesellschaft mbH, bekannt im Stadtbild unter dem Namen Hofmann denkt, für das Entleeren der gelben Tonnen und Säcke für private Haushalte verantwortlich. Nach eigener Aussage besitzt der Entsorgungsbetrieb genügend Kapazitäten, um den prognostizierten Anstieg an Haushaltsmüll bewältigen zu können. Mitarbeiter Michael Handl ist Fachmann für Kunststoffabfälle und bewertet die Situation dennoch kritisch: „Für den Bereich der gelben Tonne können wir einen Corona-bedingten Zuwachs der Abfälle privater Haushalte bestätigen. Das ist aber nicht nur in Nürnberg, sondern in vielen anderen Gebieten ebenfalls zu erkennen. Das Problem gab es auch schon vor Corona. Das ist schon seit vielen Jahren deutschlandweit und einheitlich zu beobachten. Zusätzlich werden Trennungsgebote nicht eingehalten. Normal sollte das nicht sein. Aber in der Praxis ist das alltäglich.“

Müllboxen und Pizzakartonhalter

Die Müllbox umfasst 1 Kubikmeter Volumen. Foto: André Winkel

Um dem steigenden Abfallfluss entgegenzusteuern, sehen die Nachhaltigkeitsindikatoren der Agenda 2030 vor, Müll mehr als Ressource und den damit erzielbaren ökologischen und ökonomischen Nutzen zu betrachten. Dafür gibt es verschiedene Lösungsansätze, um im Bereich der Müllvermeidung und Wiederverwertung neue Gestaltungs- und Handlungsmöglichkeiten zu schaffen. Eine Strategie, um den Verbrauchern eine produzierte Menge an Abfall anschaulich zu demonstrieren, hat sich der SÖR ausgedacht: Er rief eine Müll-Aktion am Wöhrder See ins Leben. „Wir haben drei transparente Boxen mit einem Kubikmeter Volumen mit Müll gefüllt und an Orten aufgestellt, an denen ein besonders hohes Aufkommen herrscht. Die Leute sollten ein Gefühl dafür bekommen, wie viel ein Kubikmeter ist. Solche Zahlen lesen sich immer ganz nett, aber was das letztendlich bedeutet, weiß niemand. Wir wollten zeigen, wie schnell so eine Menge zusammenkommt und was überhaupt weggeschmissen wird“, berichtet André Winkel.

Für den SÖR-Mitarbeiter steht der Pizzakarton symbolisch für den privaten Müllanstieg der Corona-Pandemie. Das ist auch der Grund, weshalb die Stadt Nürnberg speziell konzipierte Pizzakartonhalter an stark frequentierten Plätzen des Wöhrder Sees aufgestellt hat. Ziel dieser Konstruktionen ist es, den Besuchern eine schnelle und einfache Entsorgung ihrer Pizzakartons anzubieten. Der Pressesprecher plant allerdings vorerst keine zusätzlichen dieser Karton-Halterungen an weiteren Orten zu installieren. „An anderen Parks sind derzeit noch keine aufgestellt. Wir müssen erst sehen, wie die neuen Halter ankommen und ob die Leute dort darauf reagieren.“

Nachhaltige Strategien für einen effektiven Umweltschutz

Haushaltsmüll landet oft unzuerkleinert in Mülleimern. Foto: André Winkel

Der SÖR bietet für alle Verbraucher sogenannte Baumpatenschaften und ein Projekt namens „Kehrd wärd“ an. Der fränkische Name steht für eine freiwillige Mitmach-Aktion, in der die Nürnberger Umgebung verschönert und von Müll befreit werden soll. Projekte dieser Art konnten in der Vergangenheit erfolgreich umgesetzt werden. Laut dem Pressesprecher müssen weitere Strategien entwickelt werden, damit alle Einwohner der Stadt Nürnberg auch in Zukunft mit einer möglichst sauberen Umwelt zusammenleben könnten. Das bestätigt auch der Mitarbeiter von Hofmann denkt: „Das oberste Gebot ist hier eigentlich, so wenig Abfall wie möglich in den Umlauf zu bringen. Der Verbraucher hat aber auch seine Aufgabe. Wie beispielsweise nochmal auf der gelben Tonne oder im Internet nachzusehen, wie Abfall korrekt getrennt wird. Die Abfallberatung in Nürnberg ist allerdings genauso gefragt den Verbrauchern beizubringen, wie man korrekt Müll trennt. Hier muss immer wieder Aufklärungsarbeit betrieben werden. Die Arbeit wird nie ausgehen.“

Den bisherigen Prognosen ist abzulesen, dass die Problematik rund um den vom Menschen produzierten Abfall weiterhin relevant bleiben wird. Die Corona-Pandemie zeigt außerdem, wie verletzbar unsere Umwelt ist und wo der Mensch seine Spuren hinterlässt. Auf der anderen Seite rückt die Problematik dadurch mehr in den Fokus und fördert damit den Aufmerksamkeit für eine saubere Umwelt und ein bewussteres Konsumverhalten. Ob und wie stark Corona unser Abfallverhalten beeinflusst, lässt sich erst in absehbarer Zeit vollständig analysieren, berichtet Michael Handl: „Wir hoffen im April 2021, erste Analysen und ein Resümee aufstellen zu können. Müll ist leider oft zeitversetzt messbar und muss mit ein paar Monaten Abstand betrachtet werden.“

 

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