Von Vater zu Sohn – von Sohn zu Vater

„Tommy, komm mal her!”, Heinrichs Sohns stürmt in das Wohnzimmer und hört das Arbeiten von Registrierkassen. „Money!”, schreit es aus den Lautsprechern von Heinrichs Stereo-Anlage. „Die Scheibe fandest du doch neulich im Plattenladen so genial, stimmt’s?”, fragt Heinrich Tommy.

„Ja, ist doch klar! Ist immerhin die Neue von Pink Floyd!”, erwidert Tommy besserwisserisch. Die beiden unterhalten sich einige Zeit über das gerade erst veröffentlichte Album von Pink Floyd – Dark Side of The Moon aus dem Jahr 1973.

Tommy (9) Foto: Heinrich Heidenreiter

„Das ist echt das beste Album! Und das, obwohl es über deinen alten Plattenspieler läuft!”, spottet Tommy. „Was meinst du mit obwohl? Das ist einer der ersten Stereo-Plattenspieler. Der Perpetuum Ebner REX A59 Stereo war zu seiner Zeit einer der fortschrittlichsten Plattenspieler, den man für Geld kaufen konnte!”, schnaubte Heinrich belehrend. „Du wirst schon noch merken, dass es auch heute fast nichts Besseres auf dem Markt gibt.” Tommy reagiert mit einem hämischen Lachen.

Von Vater zu Sohn

7 Jahre später: Der jetzt 16-jährige Tommy kommt mit seinen beiden Freunden Rolf und Martin von einer Einkaufstour nach Hause. Seine Freunde tragen jeweils eine große Lautsprecherbox über die letzten Stufen in die Wohnung. Kurz dahinter Tommy, in den Händen Verstärker und Plattenspieler seiner soeben erstandenen Komplettanlage. „Paps!”, ruft er durch die Wohnung. „Schau mal, was ich günstig im HiFi-Laden um die Ecke bekommen hab’.” Sein Vater schreitet durch die Wohnung in Richtung Eingangstür. „Was hast du denn da angeschleppt? Die Anlage ist ja ganz in Ordnung, aber den Plattenspieler würde ich an deiner Stelle sofort wieder zurücktragen.” Tommy ist verwirrt. Bevor er auch nur ein Wort sagen kann, fängt Heinrich erneut an, sich über den soeben erstandenen Plattenspieler aufzuregen. “Auf so einem Teil lass ich dich keine Platten hören! Nimm einfach meinen REX, was Besseres wirst du sowieso nie wiederfinden.”
Tommy schaute ihn fragend an. “Was ist denn jetzt überhaupt so besonders an deinem REX?”
Heinrich setzt zu einem Vortrag an: “Der Perpetuum Ebner REX A59 Stereo wurde in Deutschland gefertigt – ganz im Gegensatz zu dem Peking-Plastik, das du gerade erstanden hast. In St. Georgen im Schwarzwald wurde er damals 1959 mit Hingabe konstruiert und gebaut. Vor allem nicht von einem seelenlosen Konzern, sondern von einem Unternehmen, das mit Herz an seinen Produkten gearbeitet hat! Perpetuum Ebner gab es in seiner Form genau 60 Jahre. Noch bis vor 9 Jahren konnte man Plattenspieler und allerhand andere HiFi-Geräte von Perpetuum Ebner in den Läden finden – doch leider wurde das Unternehmen dann vom Konkurrenten Dual aufgekauft.”
Tommy und seine Freunde schauen sich wortlos an. Sie bringen die Boxen und den Verstärker in Tommys Zimmer.
Nachdem die Anlage aufgebaut war, kommt Heinrich in das Zimmer – unter seinem Arm klemmt der REX.

Lob an die alte Technik

Freitagabend in der Junggesellenbude von Tom. Der nun 27-Jährige trinkt mit einigen Freunden ein paar Bier und plaudert über die neueste Schallplatte in seiner Sammlung.

Tom und seine Freunde in seiner Junggesellenbude. Tom trägt einen gestreiften Pullover. Foto: Thomas Heidenreiter

„Habt ihr euch eigentlich schon das neue Live Album von Pink Floyd angehört? Ich meine natürlich Delicate Sound of Thunder”, ruft er aufgeregt durch den Raum. „Ich leg’ die am besten gleich mal auf!” Die Atmosphärischen Klänge füllen langsam den Raum. David Gilmour startet ein sanftes Gitarrensolo. Sein Freund Schorsch (links im Bild) ist verwundert, wie genial diese Platte doch klingt. „Sag mal Tom, was hast du da

Schalter zur Wahl der Drehgeschwindigkeit des Plattentellers Foto: Ludwig Heidenreiter

eigentlich für einen Plattenspieler? Den habe ich ja sonst noch nirgends gesehen.” Tom erwidert: „Tja, den hab‘ ich damals von meinem Paps geschenkt bekommen, als ich mir meine erste Anlage gekauft habe. Mensch bin ich froh, dass ich den jetzt hier stehen habe. Das war damals einer der ersten Stereo-Plattenspieler – mit dem kann ich nicht nur normale LPs abspielen. Auch die alten Schelllack-Platten meines Vaters und die Sprechplatten meiner Mutter kann ich damit anhören. Die haben sich damals echt was Geniales einfallen lassen. Ich kann mit einem Schalter ganz einfach die unterschiedlichen Nadeln wechseln, die für das Abspielen der Platten benötigt werden. Die Geschwindigkeit, die für die jeweiligen Platten benötigt wird, steuert man über den anderen Regler.” Es tönt Gilmours Stimme aus der Anlage: „Remember when you were young, you shone like the sun. Shine on you crazy diamond.”

Des Vaters Ärgernis

Einige Wochen später, sitzt Tom im Old Shepherd am Unschlittplatz in Nürnberg, für einen letzten Absacker. Der Abend war bis dahin sehr fröhlich. Nach einiger Zeit tritt er den Heimweg an – allerdings nicht ganz nüchtern. Vor seiner Wohnungstür stehend, merkt Tom, dass diese nicht mehr verschlossen ist. Hebelspuren zieren den weiß-beigen Türrahmen. Geschockt betritt er seine Wohnung. Auf dem Boden liegen seine

Der Tonarm an dem der Schalter zum Wählen der Nadel montiert ist. Foto: Ludwig Heidenreiter

Habseligkeiten verteilt. Das große Wohn- und Esszimmer ist verwüstet. Er schaut nach links, zu seinem Sideboard – hier sollte eigentlich seine Anlage stehen, inklusive REX A59. Zu sehen sind aber nur noch die aus Staub geformten Umrisse der Anlage. Geschockt eilt er zu seinem Telefon, um die Polizei zu rufen – wenigstens das haben sie ihm gelassen. „Hallo, hier Heidenreiter. Kommen Sie bitte in die Äußere Bucher Straße 27. Bei mir wurde eingebrochen.”
Einige Zeit später kommt endlich der Streifenwagen an. Nach Aufnahme aller notwendigen Informationen sagt einer der Polizisten: „Herr Heidenreiter, bitte haben Sie nicht zu große Hoffnungen. Das waren Profis. Die sind jetzt bestimmt schon über alle Berge.” Wehmütig bedankt sich Tom bei den Ordnungshütern. Er hat jetzt nur im Kopf, dass er diesen Vorfall seinem Vater schildern muss – und zwar dringend.
Gleich am nächsten Morgen fährt Tom zu der Wohnung seiner Eltern. Die Straße ist nass und holprig, er noch etwas verkatert und geschockt.

Tom und seine Eltern sitzen gemeinsam am Esstisch. „Das waren Profis. Die sind jetzt bestimmt schon über alle Berge”, wiederholt Tom den Polizeibeamten.
Seine Mutter, Anni, fragt, was die Einbrecher ihm gestohlen haben. „Einen Teil meiner Schallplatten, die goldene Taschenuhr, meine Anlage.”, zählt Tom auf.
Heinrich fällt ihm in’s Wort: „Was meinst du mit ‘deiner Anlage’?” „Na meine Anlage“, erwidert er zurückhaltend. „Aber die haben nicht den REX, oder?” „Doch…”
Die Stille im Esszimmer ist unerträglich. Tom kann seinem Vater nicht in die Augen sehen. Heinrichs Gesicht verfärbt sich zu einem immer dunkler werdenden Rot. „Das kann doch nicht wahr sein! Das müssen wirklich Spezialisten gewesen sein. Nur die wenigsten erkennen den wahren Wert vom Perpetuum Ebner REX A59 Stereo! Der war seiner Zeit voraus. Durch das Abtasten der Plattengröße, konnte der REX automatisch die Geschwindigkeit des Plattentellers anpassen. Das konnten damals die Wenigsten. Der hat mich damals fast ein Viertel meines Monatslohns gekostet. Ganze 161 DM waren das damals. Die wissen doch gar nicht was es damals hieß zu arbeiten.“

Wie die Polizisten schon prophezeiten, wurden die Einbrecher nicht gefasst, der REX war verloren. Tom und sein Vater redeten seit dem nie wieder über diesen Schallplattenspieler.

Von Sohn zu Vater

Thomas ist mittlerweile 54 und selbst Vater. Zuhause hat er mehrere Plattenspieler, Tapedecks, Verstärker und diverse andere HiFi-Geräte. Seine Plattensammlung erstreckt sich über mehrere Räume. Er führt seit mehreren Jahren eine Excel-Tabelle, in der er jede Platte in seinem Besitz dokumentiert hat – inklusive Ablageort in der Wohnung. Zweifelsohne ist er durch und durch ein Musikenthusiast und Plattenliebhaber.

An einem frostigen Abend im November erhält er einen Anruf von Ludwig, seinem Sohn.
„Paps! Du glaubst nicht, was die hier im Archiv der Technischen Hochschule verschimmeln haben lassen! Du hast mir doch immer von Opas Plattenspieler erzählt. Die haben einen, einen Perpetuum Ebner REX A59 Stereo. Er läuft zwar nicht, aber das kann auch einfach nur am korrodierten Stromanschluss liegen. Ich frag’ mal, ob ich den mitnehmen kann, um ihn zu reparieren. Vielleicht dürfen wir den REX am Ende ja behalten. Die wissen sowieso nichts damit anzufangen!”

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