Der Barcode-Truck. Foto: Jonas Schmidt

Rolling Stones im Kinderzimmer

Klemmbausteine faszinieren Jung und Alt. Fans wie Peter Schmidt begeistert nicht nur das Gefühl ein Baumeister zu sein, sondern auch die Technik dahinter.

„Piep, piep, piep“, blafft Peter Schmidt (65). „Alle stecken sie ihre Nasen nur noch in diese Bildschirme. Mit etwas anderem spielen die jungen Leute von heute doch gar nicht mehr.“ Wie ein Tischler, der ein Brett schön blank poliert hat, beäugt er den fertig gebauten Lastwagen aus LEGO-Steinen. Die Augen sagen nur noch das Nötigste. Sie sind müde vom milchig fahlen Schein der Esstischlampe. Sechs Stunden hat er darunter getüftelt, den Bauplan studiert, nach Teilen gesucht und Stein auf Stein gesetzt. Sechs Stunden, dann ergaben die 1.280 Teile ein Bild. Behutsam beugt er sich vor, haucht den Staub der letzten 25 Jahre von den Klötzchen und fährt mit sanfter Stimme fort: „Das hier ist halt noch Spielzeug.“ Die Augen hinter der Brille beginnen zu schwimmen, als er liebevoll den giftgrünen Legotruck über den Esstisch schiebt.

Schwerstarbeit. Mit 500 Millionen Stück pro Jahr ist LEGO weltweit führender Foto: Schmidt Reifenhersteller. Foto: Jonas Schmidt
Schwerstarbeit. Mit 500 Millionen Stück pro Jahr ist LEGO weltweit führender Reifenhersteller. Foto: Jonas Schmidt

Ein besonderer Moment

Der Ofen bullerte, der Baum war geschmückt und das Zimmer bis zur Bescherung zugesperrt. Gerade mal sechsdreiviertel Jahre war der Sohnemann alt, als 1997, zwischen den Fetzen des Geschenkpapiers, der große giftgrüne LEGO-Technic Barcode Truck zum Vorschein kam. Mit Spitzbubenaugen beobachtete der Vater damals die Szenerie. Etwas verstohlen gibt Peter heute preis: „Ganz sicher war ich mir mit dem Geschenk nicht. Der Bausatz war erst ab zwölf!“ Schmunzelnd fügt er hinzu: „Im Notfall musste der Papa mithelfen!“ Im Grunde führte sowieso kein Weg daran vorbei.

Oft genug schlich der Klemmbausteinfan zu der Zeit beim „Beer“, dem einstigen Spielwarenparadies Schwandorfs, am Schaufenster vorbei. Da stand das „Multiset 8479 mit Barcode Control“ im stabilen Umkarton. Vielleicht war es dieser letzte Hauch von Tante Emma, der dort wehte, das Türglöckchen an der Schwelle oder schlichtweg der tattrige ältere Herr hinter dem Tresen, dass der Geldbeutel letztlich die Schwindsucht bekam. „Ich habe noch gehandelt. Am Ende war ich 200,- Deutsche Mark leichter. Das war damals ein Haufen Geld“, erinnert sich der Familienvater. Dann hieß es auch für ihn: Warten aufs Christkind.

Kreativität für Kinder und Erwachsene

Sie zählen zu den gefürchtetsten Erfahrungen im Kinderzimmer. Vor allem, da die kleinen Plastiksteinchen meistens erst nach dem Fehltritt auszumachen sind. Spitze graue Zahnräder, unscheinbare Steckverbinder, Miniaturfenster, ein graues Kardangelenk, Backsteine im Westentaschenformat und komische Käsewürfel mit reihenweise Löcher. Knapp 100 Klemmbausteine besitzt ein Mensch im Durchschnitt. Dabei garantiert LEGO mit aktuell 3.700 verschiedenen Elementen, in über 50 Farben, für unzählige Spielstunden im Kinderzimmer. Der 25 Jahre alte Lastwagen kommt dagegen noch mit 200 unterschiedlichen Bauteilen in schwarz, weiß, grün und allen Variationen von mausgrau aus.

Doch das reicht auch, um der Kreativität freien Lauf zu lassen. Nach letzten Berechnungen des dänischen Mathematikprofessors Søren Eilers lassen sich bereits sechs 2×4 Klemmbausteine in über 900 Million Variationen zusammensetzen – mehr LEGO vervielfacht den Spielwert.

4er, 8er und 10er Kreuzstange. Je ein Stück bitte. Foto: Jonas Schmidt
4er, 8er und 10er Kreuzstange. Je ein Stück bitte. Foto: Jonas Schmidt

„Klack!“ Gleichsam einem präzisen Uhrwerk greifen die Zähne und Noppen aus ABS Kunststoff auch nach Jahren der Vergessenheit perfekt ineinander. Das kommt nicht von ungefähr. Damit alles mit der richtigen Klemmkraft zusammenpasst, erlaubt LEGO seinen Steinen nur 0,005 Millimeter, ein Bruchteil der Haaresbreite, größer oder kleiner zu sein. „Da stimmt selbst heute noch alles. LEGO eben, kein Playmobil!“, lobt Peter die perfekte Verarbeitungsqualität. Doch nicht nur das Material ist entscheidend. Es liegt am Uhrenmacher, dass sich alles dreht, wie es soll.

Stets gilt volle Konzentration, denn in dem 180-seitigen Bauplan lauern tausendfältige Tücken. Gleich Würmer in einer Frucht, nisten sich ganz unbemerkt Fehler ein. Und nicht zuletzt bricht ohne Vorwarnung die wohlgeordnete Welt zusammen, fehlt auch nur ein einziger Stein. Wie ein Skorpion tastet er sich an seine Beute, bis der Gummi den Mikroschalter berührt. Dann greift er zu. Der Reifen hat keine Chance. Kopfüber geht es ab in den Kipper. Danach fällt die Zange automatisch wieder nach unten. Bereit den Nächsten einzusammeln.

Scheinbar von Geisterhand läuft das Räderwerk des rastlosen Arbeitstiers erneut an. Dabei sitzen zwischen den kleinen Zahnrädern aber keine unsichtbaren Zauberwesen. Sie gehorchen einzig dem Lauf des damals neu erschienen neun Volt Powermotors. Brav nimmt dieser seine Befehle von einem schwarzen eckigen Batteriekasten entgegen – dem Code Pilot.

Das Herzstück

Dieser Minicomputer mit Strichcodeleser und Lautsprecher ist das Herzstück der Maschine. Mittels einer Codekarte lassen sich damit, ähnlich einer Supermarktkasse, verschiedene Fahrgeräusche und Motorbewegungen scannen, speichern und der Reihe nach abspielen. So ertönt per Knopfdruck ein Dieselrasseln und der Truck setzt sich wanderdünenartig in Bewegung. Zwei seitlich eingebaute Kipphebel ermöglichen es dem Baumeister dann im Betrieb zwischen Beladen, Fahren und Auskippen umzuschalten. Nur gelenkt wird noch von Hand, auch im Führerhaus!

Wie abgezirkelt tuckert der LKW um die Kurve, denn LEGO berücksichtigte bereits damals den unterschiedlichen Lenkeinschlag des kurveninneren und -äußeren Rads. Dass die hintere Achse nicht angetrieben ist, sondern nur als optisches Anhängsel mitläuft ist Nebensache. Wie im richten Leben eben.

Sammeln Sie die Treuepunkte? Deutschlandcard? Bar oder mit Karte? Foto: Jonas Schmidt
Sammeln Sie die Treuepunkte? Deutschlandcard? Bar oder mit Karte? Foto: Jonas Schmidt

Das Motorengeräusch verstummt. Die Batterie ist leer. Doch Schluss ist damit nicht. Stein für Stein zerlegt Peter das Modell, blättert im Bauplan um und fängt an, aus dem Brummi einen Strandbuggy zu bauen. „Multiset! Der Name ist Programm – vier unterschiedliche Modelle aus einem Bausatz“, erklärt der Klemmbausteinfan. Ein leises Murmeln: „Das ist eben noch Spielzeug.“

Von Jonas Schmidt

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